Um mein Brot zu verdienen, spreche und schreibe ich unter anderem über die Kunst, die Bildende, um es genau zu sagen, weil sie mir die Liebste aller Künste ist. Ich verfasse und halte Laudatien, schreibe Texte für Künstlerkataloge und Rezensionen über Kunstausstellungen. Das heißt auch: Ich darf Kunst „kritisieren“. Das Wort gefällt mir aber gar nicht, ich sage lieber „besprechen“ oder „rezensieren“, das hört sich für mich stimmiger an, zudem bin ich der Auffassung, dass Kunst und Kritik keine gute Allianz abgeben.
Kunstkritik ist ein schwieriges Unterfangen, weil jeder ein Kunstwerk anders betrachtet, empfindet und bewertet.
Was dem einen ein visueller Genuss ist, ist dem anderen ein schmerzhafter Dorn im Auge. Man kann weggucken, wenn’s nicht gefällt. Das erlaubt die Kunst, ohne beleidigt zu sein. Apropos beleidigt: Auf dem Portal der Gesellschaft der Freunde der Künste, das ich täglich und gern verfolge, fand ich neulich einen ziemlich beleidigten und zugleich beleidigenden Artikel über das Thema „Kunstkritiker“ und was die alles anrichten können.
Der Tenor des Verfassers war in der Tat sehr beleidigt, es wurde sogar der Name einer Rezensentin genannt, sozusagen als Paradebeispiel für böse „Kritiker“, die Kunst, Künstler und Galerien, durchdrungen von egostischen Motiven oder übler Tageslaune, so richtig schön und mit Genuss niedermachen.
Eine wahrhaft niederträchtige Spezies, die sich, glaubt man dem Verfasser des Artikels, auf Vernissagen herumschleicht, des Gastgebers Prosecco und Häppchen goutiert, sich hofieren und beschleimen lässt, damit sie ja was Gutes schreibt, und dann das journalistische Machtwort ausspuckt um die ganze schöne Kunst mit giftigem Schleim voll zu kotzen. Ja, der Mensch ist des Menschen Wolf und diese Rezensentenspezies gibt es, aber gleich die ganze Kritikerzunft in die Gitfbrühe zu tauchen? Muss das sein?
Ja doch, über Kunst lässt sich streiten, wie über alles andere im Leben auch, es macht nur keinen Sinn.
Weil der Mensch aber zum Sinnlosen ebenso neigt wie zur Sinnsuche, haben eben auch vernichtende Kritiken eine Existenzberechtigung. Zudem leben wir in einem Land, das die Meinungsfreiheit im Grundgesetz verankert hat. Übrigens, das kann sich ändern, hatten wir auch schon mal, aber egal, jetzt ist das so und basta. Und weil das so ist, darf jeder der schreibt, schreiben was er will, vorausgesetzt er kann schreiben.
Ob einer schreiben kann oder nicht lässt sich, nebenbei bemerkt, besser beurteilen, als ob einer gute Kunst macht oder nicht, denn die Bewertung von Bildender Kunst ist mehr als vieles andere, abhängig vom Auge des Betrachters, das liegt nun mal in ihrer Natur als visuelle Erscheinungsform.
Nun scheint diese Erkenntnis, die schon Kant postulierte - nämlich, dass, ich will mich kurz fassen - die Welt, die wir sehen, niemals Welt ist, wie sie an sich ist - noch nicht zu allen vorgedrungen zu sein. Schade eigentlich, sonst könnte ich mir das hier sparen.
Sie glauben mir nicht? Gut, dann weiter! Auch der alte Schopenhauer, übrigens auch so ein beleidigter Zeitgenosse, aber dafür sehr klug, ließ sich seitenweise über die Fragwürdigkeit einer allgemeingültigen Wirklichkeit aus und erkannte, dass wir das „Ding an sich“ nie erkennen können. Noch eins drauf setzte Paul Watzlawick mit dem Konstruktivismus. Ich zitiere: „Der Glaube, es gäbe nur eine Wirklichkeit ist die gefährlichste aller Selbsttäuschungen. Es gibt sie nicht, diese eine Wirklichkeit, es gibt vielmehr zahllose Wirklichkeiten, die sehr widersprüchlich sein können, die alle das Ergebnis von Kommunikation und nicht der Widerschein ewiger objektiver Wahrheiten sind“. Watzlawick kommt zu dem Schluss, dass der Glaube, dass die eigene Sicht der Wirklichkeit die Wirklichkeit schlechthin bedeute eine gefährliche Wahnidee sei, eine Anmaßung, ja gar die „think crime“ der menschlichen Existenz. Finde ich übrigens auch.
Aber was, wenn die Dinge nicht sind, was sie sind, es niemals sein können, wenn es dieses objektiv Seiende nicht gibt, wenn das Seiende eine nichtfassbare Größe ist, wenn jedes Ding nur der Widerschein dessen ist, was sich in uns spiegelt und wir uns wiederum in ihm? Dann gibt es nur subjektive Annahmen und keine Wirklichkeit. Dann gibt es kein Richtig und kein Falsch, sondern nur Ansichten.
Und genau darauf will ich hinaus: Kunst ist Ansichtssache, Geschmacksache, Gefühlsache. Sie geht über die Sinne in uns hinein und jeder rezipiert sie individuell.
Nun behauptet der beleidigte, beleidigende Verfasser weiter: Kunstkritik ist Macht.
Wenn jemand der Meinung ist, dass Kunstkritik ein gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Machfaktor ist, dann ist das seine Wahrheit und damit hat er erst mal Recht, zumal es ja im ganzen Leben in jedem Beziehungskonstrukt, ob individuell oder kollektiv, immer auch um Macht geht. Die Behauptung jedoch, dass „eher regional orientierten Gazetten“, zu wenig untersuchen, wem sie die Macht des Kunstkritisierens übergeben, ist doch eher fragwürdig.Hallo, woher will man denn wissen ,ob einer nun von Kunst Ahnung hat oder nicht?
Ein Studium der Kunsthistorik impliziert noch lange nicht, dass einer die Weisheit über Kunst gefressen hat, da gibt es einfach keine.
Und was ist denn gute Kunst und was ist schlechte Kunst? Manche sagen so, manche so und die Ranking-Listen sind doch als Qualitätsmerkmal nicht wirklich ernst zu nehmen, wissen wir doch längst, dass Kunst heutzutage eine Marketingsache ist. und ganz viel mit dem schnöden Mammon zu tun hat. Da liegt die Macht, nicht in den Händen des Schreiberlings der regionalen Gazette und wenn da einer latent Bestechung unterstellt, dreist nach dem Motto: Aus welchen Quellen fließen zusätzliche Honorare?
Also das wüsste ich auch gern! Mir jedenfalls ist noch kein Kunstmafioso begegnet, der mir ein paar Euro extra gibt, damit ich eine Galerie oder einen Künstler nieder mache. Wieso eigentlich nicht? Ich sage es Ihnen, weil nichts älter und nichts schneller vergessen ist, als die Zeitung und der Interneteintrag von gestern. Die Investition lohnt sich schlicht und einfach nicht.
Ach, fast hätte ich es vergessen zu erwähnen: Eine vernichtende Kunstkritik zerstört nicht das Image einer Galerie und macht keinen Künstler platt.
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