Donnerstag, 19. September 2024

Angst essen Seelen auf

 

                                                        Foto: Pixybay

Was ist geschehen?
Viele Menschen sind kaum noch fähig Gegensätzliches auszuhalten. Sie sind kaum noch fähig konträre Meinungen stehen zu lassen. Seit Corona gibt es eine starke Tendenz, dass eine offene Diskurskultur kaum noch gelingt.
Anstatt achtungsvolles Miteinander herrscht ein aggressives Gegeneinander.
Respekt, Verständnis, Toleranz, Mitgefühl, Güte und Nächstenliebe findet man immer weniger. Dafür immer mehr Ichbezogenheit, Aggression, Wut und emotionale Verrohung.
Wir leben in einem Milieu der Spaltung und der Trennung.
Was ist geschehen, dass Qualitäten wie Respekt, Mitgefühl, Friedfertigkeit und Achtung vor dem anderen immer mehr fehlen, ebenso wie Güte, Offenheit und Zugewandtheit?
Was ist geschehen, das sich immer mehr Menschen ins Eigene zurückziehen, sich von der Gesellschaft abwenden und Selbstisolation wählen?
Was ist geschehen, dass Beziehungen immer schwerer herzustellen und zu leben sind und immer mehr Menschen, egal welchen Alters, zunehmend vereinsamen?
Was ist geschehen, dass die Basis eines gelingenden sozialen Miteinanders mehr und mehr zerbröselt?
Was ist geschehen, dass ein friedliches Miteinander und Nebeneinander kaum mehr gelingt?
Mit dem Beginn der Coronapandemie und ihren Maßnahmen wurde ein Klima der Angst geschaffen.
 
Es wurde ein Klima der Spaltung und der Trennung geschaffen.
Es wurde die Erlaubnis geschaffen andere, die anderer Meinung sind, zu diskriminieren, zu attackieren, anzugreifen, zu beleidigen und zu demütigen und von der Gemeinschaft auszugrenzen.
Akzeptanz gegenüber anders Denkenden löste sich auf.
Es wurde ein Klima des Durcheinanders geschaffen. Aus dem Durcheinander wurde ein Gegeneinander, das bis heute geblieben ist.
Die Corona Jahre haben unser Miteinander gestört, verstört und nachhaltig zerstört. Freundschaften, Partnerschaften, Gemeinschaften, Familien haben sich entzweit und sind zerbrochen. Über drei Jahre fand eine schleichende Destruktion von ethischem Verhalten statt, das moralische Werte ihres Wertes und ihrer Bedeutung für ein mitfühlendes menschliches Miteinander, enthob. Wahrheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde verloren an Bedeutung und Gültigkeit.
Ein Milieu von Druck, Angst und Panik wurde zum Alltag.
Diese Angst wurde durch den Ausbruch des Krieges in der Ukraine weiter verstärkt.
Aus Frieden bewahren wollen wurde Kriegstreiberei.
Menschen, die sich gegen den Krieg aussprechen, werden diskriminiert. 
 
Seit vier Jahren herrscht Angst.
Seit vier Jahren dominiert die Angst.
Angst vor dem Virus, Angst krank zu werden, Angst zu sterben, Angst vor einem möglichen Weltkrieg, Angst vor Klimawandel, Angst die eigene Existenz zu verlieren, Angst die eigene Meinung zu sagen, Angst sich gegen den Mainstream zu stellen, Zukunftsangst.
Angst, Angst Angst.
Und kaum einer redet darüber.
Was in den Coronajahren mit jedem Einzelnen und kollektiv geschehen ist, wird verdrängt und totgeschwiegen. Eine Aufarbeitung findet nicht statt.
Angst ist die Wurzel und die Folge von Traumata.
 
Corona als kollektives Trauma hat die Angst in unser Leben gepflanzt. Wie eine Krebsgeschwulst metastasiert sie in der Psyche der Menschen und in der menschlichen Gemeinschaft.
Angst ist eine zerstörerische Emotion, je länger sie anhält, desto zerstörerischer ist ihre Wirkung. Angst führt zu Flucht, Starre oder Angriff. Angst schüchtert ein. Angst verhindert klares Denken. Angst führt zu Ohnmacht. Ohnmacht führt zu Frustration, Wut und Aggression.
Was also ist geschehen?
Die Angst ist in unser Leben eingezogen. Sie dominiert unser Fühlen, unser Denken, unser Verhalten und unser menschliches Miteinander.
Angst essen nicht nur Seelen auf.
Angst essen Mitgefühl, Güte, Wärme, Barmherzigkeit, Würde, Liebe und Nächstenliebe auf.
 
"You cannot get through a single day without having an impact on the world around you. What you do makes a difference, and you have to decide what kind of difference you want to make."
~Dr. Jane Goodall
 
Angelika Wende

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank für das sehr treffende Niederschreiben dieser Eindrücke, liebe Angelika, so nehme ich es auch wahr – und finde es sehr schwer auszuhalten.

    Ich möchte gern noch einen Aspekt ergänzen: Diese Abwärtsspirale von der Angst über Flucht/Starre/Angriff oder Ohnmacht hin zu Frust, Wut und Aggression; sie läuft bestimmt auch ganz von selbst weiter, sofern nicht von friedlich-freundlicher Seite interveniert wird, doch ganz besonders bedrückend und gefährlich ist, dass Menschen oder Gruppen sich eben genau diese Mechanismen auch für "böse" Ziele zunutze machen können: Denn packst du einen ohnehin schon wie auch immer seelisch angeschlagenen Menschen an seinen Ängsten und wendest dann noch ein paar rhetorische und psychologische Tricks an (vermittelst ihm zB durch Sprecher-Virtuosität, dass alle seine Befürchtungen sich sicher bewahrheiten werden, verwirrst ihn durch Widersprüchlichkeiten, verunsicherst ihn in seiner Identität, kommst mal mit Zuckerbrot, mal mit Peitsche, verbiegst seine Sprache oder verdrehst seine Aussagen, demonstrierst, dass du eine starke Gruppe um dich herum hast uswusf.) – dann hast du ruckzuck einen Menschen, der dir vollkommen ausgeliefert ist; mit dem du machen kannst, was du willst, dem du einpflanzen und den du glauben lassen kannst, was immer du ihm hinwirfst. Das funktioniert im Persönlichen, “im Kleinen”, aber eben auch im Großen.

    Und genau so funktioniert Faschismus.

    Davon, das zu wissen, und dabei auf der politischen Bühne zuzusehen, kann einem eigentlich wieder nur Angst und Bange werden, aber: nun, s.o.

    Dieses ständige, jedenfalls gefühlt, inzwischen in jeder Sphäre, auf fast allen gesellschaftlichen Bühnen, sogar _innerhalb_ bestimmter Strömungen und zunehmend auch ins Private und in die Mitte vorrückende, dauerpräsente Gegeneinander macht mich persönlich schon seit vielen Jahren ganz sprach- und ratlos. Ich verlor dadurch mehrere der einst meine Identität zumindest _auch_ kennzeichnenden Zugehörigkeiten und es ist unheimlich schwer, daran nicht zu verzagen. Lassen sich solche Zustände tatsächlich nur durch unbegrenzte, naiv-stoisch beibehaltene Nächstenliebe, Offenheit, Güte und Wärme verhindern oder “bekämpfen”? Was, wenn das nichts bringt? Kuschel- und Verständniskurs, unlimitierte Gesprächsbereitschaft – oder dann irgendwann doch Härte und Solidaritätsentzug? Ich weiß es nicht (was meines Erachtens auch ein veritabler Grund für Rückzug und Selbstisolation sein kann). Möge die Welt Antworten darauf finden.

    – c

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