Donnerstag, 20. Juni 2024

Ein verletztes Herz

 

"Ich kann mein Herz nicht mehr öffnen, weil ich verletzt wurde."

Denke und glaube ich so, bleibe ich an meinem Schmerz haften. Ich bleibe an denen oder dem haften, der ihn mir zugefügt haben. Ich füge mir selbst über den Schmerz hinaus Leid zu. Ich mache aus Schmerz Leiden, im Glauben mir eine schützende Rüstung um mein Herz legen zu müssen, auf dass mich nichts und niemand mehr verletzt. Aber, in dieser Rüstung lebt es sich nicht gut. Sie ist hart und eng. Sie macht Atmen schwer, Bewegung schwer, trennt mich von all dem, was mir nah kommen will. Sie macht verdammt allein. Aus Selbstschutz wird Selbstquälerei.

Es ist schwer sich aus der der Verhaftung mit einem alten Schmerz zu herauszulösen, schwer die schützende Rüstung abzulegen im Wissen – jetzt bin ich wieder verletzbar. Schmerz ist wieder möglich. Neuer Schmerz. Manchmal kann es sogar soweit kommen, dass die Rüstung so vertraut oder sogar so liebgeworden ist, weil sie mir als Schutz für mein verletztes Herz gute Dienste leistet. Das Herz aber wird leiden. Es wird an der Enge langsam ersticken. Es wird an Einsamkeit, an Verbitterung, an Resignation erkranken.

Um die Rüstung abzulegen und zu gesunden, bedarf es der Verantwortungsübernahme – und zwar für das eigene Leben. Und das bedeutet - uns zu öffnen für das Leben, wieder und wieder, auch wenn wir verletzt sind und auch wenn wir die Gefahr eingehen wieder verletzt zu werden.

„Das Leiden, die Not gehört zum Leben dazu, wie das Schicksal und der Tod“ , schreibt Viktor Frankl.

 

Es gibt immer schmerzvolle Dinge und Umstände, denen wir als Mensch unausweichlich begegnen. Es gibt das Schicksal, das manchmal ein Arschloch ist. Es gibt so vieles, was nicht in unserer Hand liegt. Es gibt Erfahrungen, die uns alles abverlangen und denen wir uns stellen können oder nicht. Es gibt Dinge, die unveränderbar sind, egal wie sehr wir uns dagegen wehren.

Wie wir damit umgehen, wie wie wählen, allein das liegt in unserer Hand. Was wir damit machen, liegt in unserer Hand. Das entscheiden wir selbst. Jeden Tag haben wir neu die Wahl, angesichts des Schmerzes, den wir fühlen zu resignieren – oder aus dem Schmerz heraus unser Leben neu zu gestalten, indem wir den Sinn im eigenen Leiden zu erkennen suchen,  indem wir uns fragen:  

Aus welchem Grund bin ich in dieser Lage?  

Was will das Leben jetzt von mir?

Worin könnte meine Aufgabe, meine Herausforderung liegen?

 

„Es ist das Leben, das uns die Fragen stellt, wir haben zu antworten und diese Antworten zu ver-antworten“, Nichts anderes kommt uns Menschen zu!“, schreibt Frankl weiter.

 

Was heißt das?

Es heißt die Herausforderung anzunehmen indem wir uns zu fragen: Wozu fordert mich mein Schmerz  heraus?

Und: Welche Antwort will ich geben?

Will ich mein Leid vermehren oder es wandeln?

 

Sich wandeln hat einen Preis, nämlich den die scheinbar sichere Rüstung abzulegen, den Schmerz loszulassen, die Verbitterung und die Resignation loszulassen und aufhören zu sagen: "Ich kann mein Herz nicht mehr öffnen, weil ich verletzt wurde." Auch ein verletztes Herz kann wieder ganz werden, nicht mehr ganz so ganz wie es einmal war, aber mutiger, weicher, wissender, weiser, mitfühlender, ehrlicher und wahrhaftiger sich selbst und damit anderen gegenüber.

Wir können die Rüstung ablegen und uns fragen:

Wofür will ich mein Herzblut geben?

Was will ich aus meinen Herzen heraus in die Welt geben?

 

 

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