„Schau, ich habe alle
meine Bilder unter dem Aspekt der Form der Kugel ausgesucht“, sagt Brigitte
Zander zu mir, als ich zum Gespräch mit den 3 Künstlern in den Eisenturm komme.
Und Renate Ott lächelt: „Irgendwie hatte ich die Intuition, ich muss ein rundes
Loch in die Figur machen, rund wie eine Kugel, und das, bevor ich Donald
Untereckers Installation sah.
Was Brigitte Zander,
Renate Ott und Donald Untereckers Kunst verbindet, ist nicht auf den ersten
Blick sichtbar. Die Arbeiten der Malerin, der Bildhauerin und des Fotografen
führen uns in verschiedene Welten, sie zeigen unterschiedliche künstlerische
Positionen – aber immer ist es Welt. Und die ist rund wie eine Kugel, das wissen
wir seit Galileio Galilei.
Raum und Zeit, Innen
und Außenwelten, sich selbst reflektierende Welten – all diese Welten sind aus
und von Menschen gestaltete Mikrokosmen inmitten von Welt. Ohne sich aneinander
anpassen zu müssen, ohne sich gleichen zu müssen, sind sie Teile des
Ganzen, Teile von Welt und damit sind sie Eins, auch ohne jegliche Konstruktion
von Verbindung zu bemühen – sie sind Eins, im Sinne der Weltenseele, die
Trennung nicht kennt. Jedes Werk für sich ist somit ein Aspekt des Ganzen. Das Symbol
der Kugel, das Sie hier und in allen anderen Räumen des Turms sehen,
symbolisiert dieses Ganze.
Schon im Altertum galt die Kugel nicht nur als Bild der Einzelseele, sondern auch als Bild der Weltseele. Platon hat die Kugelgestalt als die vollkommenste erklärt. Nach Platons „Timaios" ist sie Symbol für Vollständigkeit und Ganzheit, Ausdrucksform der Gesamtheit aller einander aufhebender Gegensätze. Für den Psychoanalytiker Carl Gustav Jung stellen alle kugelförmigen Gebilde eine psychische Dynamik dar, die sich auf ein gemeinsames Zentrum hin orientiert und Aspekte des Selbst symbolisiert. Hier ist sie Sinnbild für das Streben der Psyche nach der Herstellung des innerpsychischen Gleichgewichts. All das und viel mehr zeigt sich im Symbol der Kugel. Eine tiefe Symbolik. Tief wie die Absichten dieser 3 Künstler, die ihr Innenleben mit dem Außen abgleichen, um ihr Verständnis von sich Selbst und von Welt zu deuten, zu be-deuten und es wieder in die Welt zu geben. Was Sie hier sehen ist die Identitätssuche schöpferischer Menschen, die aus der eigenen Welt in die äußere drängt, sich in Form, Farbe, Material und Haptik Ausdruck sucht, um in den Dialog mit dem Betrachter zu treten und – über den Trialog dreier Künstlerseelen – vielleicht zu Ihrem ganz persönlichen inneren Monolog inspirieren. Das wäre ein kommunikativer Kreislauf, rund wie eine Kugel, zirkulierend, von einen zum anderen hin und wieder zurück, ohne Anfang und Ende, sich in und um sich selbst drehend, wie Donald Untereckers spiegelnde Kugeln aus Stahl, in deren glatter, perfekt runden Projektionsfläche Sie, der Betrachter, zum Mittelpunkt werden und damit zum Zentrum der Installation, die Sie braucht um ihren Sinn zu erfüllen und zu entfalten.
„Spiegelplaneten“ – poetisch mutet der Name der Installation
von Donald Unterecker an, doch weniger poetisch ist die Absicht des Künstlers.
Einen Spiegel will er
uns vorhalten. Einen Spiegel, der den kollektiven Trend der verzweifelten Suche
nach der eigenen Identität in einer sinnentleerten Welt zitiert und
reflektierend einfängt. Haben Sie schon mal
ein Selfie gemacht, meine Damen und Herren? Und es dann in Facebook oder
Instagram allen und jedem zum Anschauen ins Netz gestellt? Nicht? Dann können
Sie das heute und hier tun. Wenn Sie mögen, gehen
Sie in den unteren Raum, stellen sich vor die große Kugel, die sich hinter dem
kleinen abgegrenzten Raum im Raum befindet, nehmen ihr Smartphone oder die gute
alte Kamera und drücken auf den Auslöser, bitte mit Fokus auf die Kugel, die
Sie dann zurückspiegelt. Das Foto können Sie dann nach Belieben ins Netz
stellen oder es Donald Unterecker mailen, denn er sammelt die Unikate mit Ihrem
werten Konterfei und wird damit eine weitere Ausstellung machen. Er wird sich
freuen.
Selfies ...
Die virtuelle Welt
ist voll davon.
Das ist ein
Zeitgeistphänomen, das sogar Wissenschaftler der Ohio State University zu einer
Studie veranlasste. Was viele von uns schon lange ahnen, belegt die Studie:
Jemand, der häufig Selfies von sich macht und in soziale Netzwerke stellt, ist
auf narzisstische Weise selbstverliebt - das gilt zumindest für Männer. Trauen
Sie sich später bitte trotzdem, meine Herren, Ihr Selfie ist ja heute wertvoll
für die Kunst.
Donald Untereckers Spiegelplaneten führen den Betrachter nicht nur zu einer bewussten Wahrnehmung seiner selbst im Kontext mit dem, was in der Kugel ohnehin zu sehen ist – die Umgebung und der Betrachter konzentrieren sich auf den runden Projektionsflächen der Kugel. Eine irritierende Beobachtung bei welcher, so der Künstler „jeder eine andere Welt in der selben sieht, in deren gespiegeltem Zentrum ausschließlich und unausweichlich er selbst agiert“ – die Welt als Produkt individueller Reflexion.
Nun denken viele, dass das Drama des Narziss die
Selbstverliebtheit ist. Das ist aber nicht richtig. Das Drama des Narziss,
damals und heute ist die Überzeugung: In dem Moment, in dem ich mit mir in
Berührung komme, zerfalle ich und bin nichts. Wer das Gefühl hat, im Inneren
nichts zu sein, der muss im Außen alles sein.
Hand aufs Herz! Ist
es nicht immer schwieriger, der zu sein, der man ist?
In einer Welt, die
immer größeren Wert auf das Unwesentliche legt, die den Superlativ fördert und
in der Authentizität zunehmend verloren geht, wird es für jeden Einzelnen zum
Kampf, bei sich selbst anzukommen. Nicht wenige ergreifen die Flucht vor sich
selbst und verbringen ihr Leben im Außen. Dieses Außen wird immer schneller,
will immer mehr, immer höher, immer perfekter, es fordert laut ein „du musst
weiter gehen“, um mithalten zu können und nicht herauszufallen aus der Welt,
sprich dem Bild von Welt, das man uns Tag für Tag in der multimedialen Welt als
Wirklichkeit malt. Wie da ein Leben leben, das uns selbst entspricht? Wer vor
sich selbst flieht, kann sich selbst nicht kennen. Vielleicht denken Sie
demnächst daran, oder jetzt gleich und fragen sich, wenn Sie ihr Selfie machen
– wen Sie da eigentlich vor sich in der Kugel haben.
Und damit bin ich bei der Bildhauerin Renate Ott.
Die Blätter,
beschrieben mit Worten zu ihren Werken, die sie mir gab, sind philosophische
Gedankenkreise einer Frau und Künstlerin, die um dieses „bei-sich-sein-wollen“
weiß, die weiß, dass nur im „bei-sich-sein“ das Form und Gestalt annimmt, was das
eigene Innere an Potenzial und Wachstum birgt. Renate Ott ist eine
Künstlerin, die nichts mehr fasziniert als der Mensch in seinem Sein mit allem,
was ihn ausmacht, im Innen und im Außen und zwischen Innen und Außen. Ich bin
mir sicher, von ihr werden Sie keine Selfies im Netz finden, aber Sie werden in
jeder Figur immer auch Portraits eines Künstlerselbst spüren, das um das Ganze
und sein komplexes Geheimnis weiß: „Der Geist führt uns – wenn wir es zulassen
– in Raum und Zeit zu jenem Ganzen, das uns die Schönheit und Harmonie des
Universums erahnen lässt.“ So zieht Renate Ott in ihrer philosophischen
Betrachtung über ihre aktuellen Arbeiten Resumée.
Was aber ist das
Schöne? Sind sie schön, diese Skulpturen?
Sind sie für Sie schön,
meine Damen und Herren?
Und worin liegt ihre
Schönheit.
Und: Ist Schönheit
nicht gleich Harmonie?
Das Schöne ist nicht
das Gigantische, das Extravagante, das Effektvolle, das manieristisch
Übersteigerte, nicht das Auftrumpfen mit Stilwillen – wir empfinden das als
schön, was uns in seiner Einzigartigkeit zugleich selbstverständlich erscheint.
Selbstverständlich wie diese Skulpturen, die sich nicht aufdrängen in ihrem
klaren Ausdruck von Kraft und Stabilität in Zeit und Raum. All die formal überbetonten,
ausladenden, üppigen weiblichen Formen aus Ton zeigen eine starke körperliche
Präsenz, die sich nach Erdung anfühlt. Wir sehen zur Ruhe gekommene Figuren.
Außen wie Innen, und wir ahnen – nur wer in sich ruht, ruht, der hat Erdung,
der ist im wachen Dasein bei sich. „ Über unseren Körper also, der Denken und
Fühlen erst zulässt, nehmen wir Wirklichkeit wahr“, postuliert Renate Ott, und
sie schreibt weiter: „Der Körper ist das Gefäß, das Sammelbecken, das die
Eindrücke von Außen in sich aufnimmt, filtert – gemäß dem Zusammenspiel von
Denken und Fühlen – und schließlich, sobald das innere Gleichgewicht wieder
hergestellt ist, freigibt nach draußen. Je mehr dieses innere Gleichgewicht
hergestellt ist, desto präsenter wird der Körper, desto mehr gewinnt er an
Authentizität.“
Authentizität, was
nichts anderes bedeutet als Denken, Fühlen und Handeln eines Menschen stimmen
überein. Dann, wenn, um es mit Renate Ott zu sagen, „Fühl- und Denksystem beim
Erfassen von Wirklichkeit sinnvoll zusammenarbeiten, indem sich gegenseitig
ergänzen.“ Wahrlich eine schwere Übung, eine lebenslange Übung für jeden von
uns, denn die eigene Ganzheit bedingt mehr als die Harmonie von Denken und Fühlen, sie bedingt
das Wissen um das, was uns im Ganzen ausmacht, erst dann, wenn wir nur
annähernd eine Vorstellung davon haben, wer wir sind und wer wir im Tiefsten
auch sind und dieses Ganze annehmen mit einem klaren „Ich bin“, dann wird
vielleicht, Harmonie im Inneren sein. Betrachten Sie die
Liegende – sie nähert sich in ihrer Formgebung der liegenden Acht, das Symbol
für Unendlichkeit. Die geschlossene Schleife als Symbol für das Absolute, für
immerwährende Bewegung, Weiterentwicklung und Ausgleich, für Polarität und
Ambivalenzen, für Innen und Außen. Renate Ott stellt es dem Betrachter anheim,
auf welche Ebene er sich hier begeben möchte, auf welche Weise er sich der
Figur nähern möchte und weiß dabei, „Der Geist macht, was er will.“ Ja, solange
wir ihn in der Macht des Unbewussten belassen, möchte ich hinzufügen.
Diese Bildhauerin ist
eine sensible Sucherin in Zeit und Raum, beseelt vom Drang, das Wesen der
inneren und der äußeren Welt zu begreifen und das zum Ausdruck zu bringen. Jede
Plastik hat eine bestimmte Aussage, zwingt durch ihre Präsenz zur
Auseinandersetzung. Eine Plastik zu erstellen heißt für Renate Ott immer auch,
die Frage nach dem Menschen zu stellen. Was suchst du an ihm? Was entdeckst du
an ihm? Und wenn ich hinzufügen darf: Wer bist du? Das sind existentielle
Fragen, nach deren Antworten die meisten Menschen ein Leben lang suchen. Und
ich wage zu behaupten, dass der Antrieb für diese Suche dieses rund werden ist,
das der Bildhauerin im Wesen ihrer Figuren längst gelungen ist.
Das Wesen der Welt begreifen, Leben malerisch in Form
und Farbe zum Ausdruck zu bringen – da würde Brigitte Zander sicher zustimmen.
Seit über 30 Jahren
ist sie Malerin. Ihr liebstes Sujet ist die Natur. Ihr Antrieb ist, sie über
ein realistisches Abbilden hinaus, so darzustellen wie sie selbst Natur und
Landschaft wahrnimmt. „Ich möchte mehr darstellen als das Sichtbare, sagt
Brigitte Zander, wobei sie einschränkt, „natürlich kann man das Unsichtbare
nicht malen, aber ohne das Unsichtbare bleibt das Sichtbare leer.“
Wir bekommen bei der Betrachtung ihrer Bilder eine leise Ahnung davon, was sie meint. Das Unsichtbare sichtbar machen, das Unsichtbare, das nirgendwo liegt als in uns selbst.Im eigenen Fühlen, im eigenen Wahrnehmen, auf dem Grund der Seele – da finden wir das Unsichtbare, das nur dann sichtbar wird, wenn es Ausdruck im Außen findet, es Gestalt annimmt. Das ist es, was Brigitte Zander meint und zeigt, ohne es sagen zu müssen, in ihren Bildern. Mit handwerklichem Geschick gelingt ihr sowohl eine Kombination intuitiver, als auch konzeptioneller Art, ihre Bilder zu gestalten. Aus der Fülle des eigenen Erlebten, inspiriert von Cézanne, Klee, Purrman, Jawlenski und den Malern der Brücke, schafft sie ein Lebenswerk, das ihre eigene unverkennbare Handschrift trägt, findet ihren expressionistischen Stil, gekennzeichnet von starker Farbigkeit, flächenhaftem Charakter und zunehmender Reduktion der Formen, die den Betrachter auf der emotionalen Ebene ansprechen. Nicht selten verwendet sie unrealistische Farben. Häuser erscheinen plötzlich in flammenden Rot und Bäume in schrillem Grün und sattem Blau. Sie malt sich die Welt, wie sie ihr gefällt. Experimentierfreudig und inspiriert vom Dialog der Farben, herausgefordert vom inneren Auge der Malerin nimmt Leinwand für Leinwand, das Gestalt an, was Brigitte Zander den Ausdruck ihres Lebens nennt – und damit schafft sie ihr ganz persönliches Weltbild.
Bilder vom in-der-Welt-sein,
das prägt und verbindet diese drei künstlerischen Positionen. Und jedes dieser
Welt-Bilder, Donald Untereckers Spiegelplanet, Renate Otts Plastiken
oder Brigitte Zanders Landschaften, ist wahr, ist als Kunstwerk wahrhaftig und
zwar nicht gegenüber der äußeren, dinglichen Welt, sondern gegenüber der inneren, geistigen Wirklichkeit. Wir sitzen alle auf einer Kugel, und von der
kann keiner runterspringen, sagte einmal jemand, dessen Namen ich vergessen
habe, aber in der Tiefe unter der runden Oberfläche liegt ein Meer von
Möglichkeiten, aus dem wir das für uns Stimmige herausfischen. Um was zu
gewinnen? Inneren Halt auf dem ehrlichen Weg zu uns selbst, fernab des Bildes,
das wir von uns haben oder haben wollen. Ich bin mir sicher – nur dieser Weg
gibt uns das Gefühl „kugel-rund“ zu sein.
© Angelika Wende, 20.
Februar 2015, KV Eisenturm, Mainz
mehr zur Spiegelplaneten Installation hier ... http://spiegelplanet.blogspot.de/
Wunderbar und berührend rezensiert. Danke für Eindrücke und Einsichten.
AntwortenLöschenElisabeth
danke für deine wertschätzung!
AntwortenLöschenangelika