Wie schön
es doch wäre all das, was wir nicht erinnern wollen zu vergessen. Wie schön es
doch wäre, unbelastet von der Vergangenheit ein Leben im Jetzt zu gestalten und jeden
neuen Morgen wie ein unbeschriebenes weißes Blatt Papier zu begrüßen, das darauf
wartet ohne den unschönen Überhang eines Gestern beschrieben zu werden. Welch
eine Befreiung das wäre.
Aber wie
so vieles Schöne, was wir uns ersehnen und vorstellen bleibt auch das nur ein
Wunsch. Die Wahrheit ist, wir vergessen nicht. Wir Menschen sind Wesen, die
von Prägungen und Erfahrungen bestimmt sind. All das zusammengenommen ist
Erinnerung. Erinnerung ist mit allen Sinnen gefühlt Erlebtes und – Erinnerung
ist untrennbar mit unseren Gefühlen verbunden. Sie ist vollgepackt mit alten
Gefühlen und damit sind wir.
Schon
lange treibt mich die Frage um, was passiert mit unseren Emotionen, wenn die
Erinnerung an ein Ereignis aus unserem Bewusstsein verschwunden ist, welches diese
Gefühle verursacht hat? Haben sie sich aufgelöst ins Nichts wie der Morgentau
nachdem die Sonne die Feuchtigkeit aus den Wiesen vertrieben hat, oder sind sie
immer da und nur nicht immer präsent im Bewusstsein?
Viele
glauben, dass Erinnerung und Gefühlsregungen untrennbar miteinander
verbunden sind. So haben beispielsweise Menschen mit einer posttraumatischen
Belastungsstörung die Angewohnheit, über die Gründe für ihre Gefühle nachzugrübeln
und geraten dadurch immer wieder in ein seelisches Tief. Bisher glaubte man,
dass dies darauf hindeutet, dass Gefühle von Trauer oder Angst abhängig vom
Abrufen der Erinnerung an die belastenden Ereignisse sind und das sie
verschwinden, wenn die Erinnerung gelöscht ist. Aber wahr ist: Erinnerungen lassen sich nicht
löschen, im besten Falle verblassen sie mit der Zeit.
Neueste Untersuchungen
der Wissenschaftler um das Team von Justin Feinstein von der University of Iowa, widersprechen sogar dieser Annahme. Sie zeigten, dass durch bestimmte Ereignisse
ausgelöste Gefühle weiter existieren, obwohl die dafür verantwortlichen
Erfahrungen scheinbar längst vergessen sind.
Das bedeutet eine „vergessene“ oder eine verblasste Erinnerung bedeutet also nicht, dass auch die damit verknüpften Gefühle verschwunden sind. Wenn wir glauben unsere Vergangenheit vergessen zu haben irren wir also, denn die damit
verbundenen Emotionen sind nicht nur in unserem Gehirn, sondern in jeder Zelle unseres Organismus unauslöschbar gespeichert. Sogar die Tests der Wissenschaftler mit Alzheimerpatienten ergaben, diese Menschen vergessen zwar ihre Erinnerungen, aber nicht ihre erlebten Gefühle.
Schon der
kleinste Auslöser, der in irgendeiner Weise an die alte Erfahrung erinnert, ein
Geruch, Worte, Geräusche, Dinge, die wir sehen, eine Bewegung, eine Geste, eine
Bewegung u.v.m ruft die alten Gefühle ab und wir erleben sie in der Gegenwart
mit der gleichen oder ähnlicher Qualität wie wir sie in der Vergangenheit
empfunden haben. Das
erklärt vieles und es macht vieles schwer für all die, die vergessen wollen um
freier zu leben und unbelastet vom Alten neue Wege gehen möchten.
Erlebte Gefühle sind unauslöschbar. Das ist eine
Erkenntnis, die Fragen stellt, vor allem die Frage: Wie ist es möglich eine
alte Last nicht unsere Gegenwart belasten zu lassen?
Vielleicht
so: Ich kann kein Gefühl löschen, aber was ich kann, ist es annehmen und es
aushalten, solange es da ist und mir bewusst machen, dass es ein altes Gefühl
ist und nicht meine jetzige Realität, auch wenn es sich so anfühlt. Schwer,
aber möglich mit dem Wissen, dass Gefühle kommen und gehen, sich wie Wellen aufbäumen und sich dann wieder zurückzuziehen ins große Meer der
Erinnerung. Vielleicht ist es Demut zu erkennen, dass ich meine Gefühle nicht
„vergessen“ kann, aber sie ziehen lassen kann, wenn ich sie gefühlt habe, dahin zurück
wo ihr Platz ist – in den Tiefen meines Selbst. Das erscheint mir tröstlich.
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