Foto: www
Die erste edle Wahrheit im Buddhismus lautet: „Leiden gehört zum Leben
dazu.“
Es muss Leid geben, denn ohne Leid würden wir den Unterschied zur Freude und
zum Glück nicht wahrnehmen können. Nur wo Schatten und Dunkelheit ist, können
wir das Licht überhaupt erst erkennen. Kein Mensch leidet freiwillig. Wenn es möglich wäre, würden sich viele von
uns ein schmerzfreies, glückliches Leben wünschen. Doch das Leben sieht anders
aus. Niemand von uns ist vor Schmerz, sei
er emotional oder körperlich, gefeit und niemand von uns wird davon verschont. Schmerz
ist ein Teil unserer Existenz, ebenso wie Wohlgefühl, Freude und Glück. Es gibt
nur das ganze Paket Leben. Wissen tun wir das zwar alle, aber dieses Wissen
hilft wie so oft nichts, wenn unser Erleben etwas anderes sagt.
Wir Menschen handeln im
Wesentlichen aus zwei Motiven: Wir wollen Freude
erleben und Schmerz vermeiden. Wobei Schmerz vermeiden das stärkere Motiv ist. Dabei
ist emotionaler Schmerz erst einmal nur Schmerz, wenn wir nicht bewerten.
Wir könnten also sagen:
Ja, ich empfinde Schmerz. Und ihn einfach da sein lassen. Könnten, die
Wenigsten von uns können das. Wir wollen, dass er weg geht, am Liebsten schnell
und ohne, dass wir etwas dafür tun müssen. Er geht aber nicht weg,
weil wir das wollen. Schmerz bleibt solange
bis wir uns emotional daraus gelöst haben. Das braucht bei jedem von uns mehr
oder weniger viel Zeit. So wie jeder von uns anders auf schmerzvolle
Erfahrungen reagiert. Je sensibler ein Mensch ist, desto intensiver fühlt. Es ist nicht das, was
uns geschieht, sondern wie wir aufgrund unserer Sensibilität darauf reagieren. Mancher
Schmerz ist so groß, dass er sich
mächtiger anfühlt als wir selbst, es ist als würde er die totale Herrschaft
über uns übernehmen. Mancher Schmerz ist sogar so
groß, dass er nicht weg geht, dann dürfen lernen damit zu leben. Wie bitte, geht’s noch,
wie kann sie so etwas sagen?, höre ich jetzt schon. Ich kann. Ich spreche
aus Erfahrung, meiner eigenen und der einiger meine KlientInnen. Schmerz, der nicht
weggeht, wird irgendwann breiter und leiser, aber er bleibt Teil unseres Lebens.
Es ist möglich damit zu leben indem wir ihn akzeptieren. Und da liegt das
Problem der Mehrzahl der Menschen: In der Nicht-Akzeptanz dessen, was wir nicht
ändern können, im Widerstand gegen das, was unveränderbar ist und sei es
Schmerz.
Wann immer wir emotionalem
Schmerz ausweichen, wird der Schmerz größer und wir selbst werden immer kleiner
und schwächer.
Wenn wir aber den Schmerz akzeptieren und durch den Schmerz
hindurchgehen, wird der Schmerz irgendwann kleiner und wir selbst werden größer
und stärker. Wir haben die Wahl: Wir
geben den Widerstand auf und lassen uns auf den Schmerz ein. Das heißt auch, dass wir uns der Ursache unseres
Schmerzes stellen. Der pragmatische Weg im Buddhismus lautet: Verstehe
die direkten Ursachen in dir selbst für dein Leiden. Und hör auf, zu den
Ursachen beizutragen. Dann verschwindet auch dein Leiden. Klingt krass stimmt aber.
Wir blicken dem Schmerz also ins
Gesicht, anstatt ihn weghaben zu wollen.
Wir fühlen wo im Körper er sitzt und
atmen ruhig ein und aus. Immer wieder, bis sich unser Körper durch den Atem
beruhigt und damit unsere Seele. Wir hören auf mit dem untauglichen Versuch den
Schmerz zu betäuben mit allem Möglichen oder uns abzulenken mit allem
Möglichen, was dann doch nicht funktioniert. Ich kenne Menschen, die sich den
Schmerz Tag für Tag wegtrinken. Je mehr sie trinken, desto größer wird ihr
Schmerz. Sie trinken dann noch mehr und der Schmerz wird noch größer und noch
dazu zerstören sie sich selbst und ja, dann hat der Schmerz auch ein Ende. Aber
zu welchem Preis? Ich kenne sensible Menschen, die aus
ihrem Schmerz heraus kreativ werden, Menschen, die Großartiges schaffen, ein
Kunstwerk, eine Lebensaufgabe oder eine Vision. Sie wachsen an ihrem Schmerz und
stehen auf wie Phönix aus der Asche.
Wer seinen Schmerz mit Betäubung
oder Ablenkung verarbeiten möchte, wird schnell spüren, dass es nicht
funktioniert. Wer seinen Schmerz nicht akzeptiert, ihn nicht zulässt, dem wird
es nicht gelingen ihn aufzulösen und zu verarbeiten.
Schmerz holt uns ein, wenn wir seine
Ursache nicht begreifen. Es ist hilfreich ihm auf den Grund
zu gehen. Schmerz kann auch ein Hinweis auf etwas sein, was wir vielleicht ohne
ihn nicht sehen konnten und nicht erfahren hätten. Eine meiner Klientinnen durchlebt
gerade die Trennung von einem Partner, der sie immer wieder abgewertet, belogen
und betrogen hat. Sie leidet unvorstellbar unter der Trennung. So sehr, dass
sie nicht mehr leben will. Die wahre Ursache ihres Schmerzes ist jedoch nicht
die Trennung an sich, das haben wir mit der Zeit herausgefunden, sondern die
Tatsache, dass sie sich über Jahre hinweg schlecht behandeln ließ und ihre
Würde missachtet hat. Sie hat keine Grenzen gesetzt, sich selbst nicht
wertgeschätzt und diesem Mann ihre Liebe hinterhergetragen, nur um das Gefühl zu
bekommen geliebt zu werden, was sie aber nur dann bekam, wenn sie in seinem
Sinne funktioniert hat. Ihr tiefer Schmerz weist auf die Ursache hin, die in
ihr selbst und ihrer Biografie liegt. Meine Klientin erkennt die
Zusammenhänge. Sieht klar. Hat Einsichten. Sieht, was Sie künftig ändern kann, was
sie tun wird und nicht mehr tun will, damit es anders wird. Sie lernt sich nach und nach selbst
wertzuschätzen und sich selbst würdevoll und fürsorglich zu behandeln. Sie
lernt Mitgefühl mit sich zu haben, liebevoll und voller Güte und Verständnis
auf sich selbst zu schauen. Das ändert zunächst nichts an dem Schmerz, den sie
empfindet, aber Selbstgefühl hilft ihn leichter zu ertragen ,es ändert etwas am
Umgang damit und vor allem an ihrem zukünftigen Leben.
Schmerz hat auch etwas Reinigendes.
Das sollten wir nicht unterschätzen. Er hat etwas Klärendes, indem er uns
klar macht, wo wir unheilsam uns selbst gegenüber handeln oder anderen
gegenüber.
Im Schmerz ist es wichtig ehrlich zu
uns selbst zu sein. Uns zuzugestehen, dass wir jetzt durch die dunkle Nacht der
Seele gehen. Uns zu erlauben, dass wir nicht wie gewohnt funktionieren und das
zu achten. Wir müssen das jetzt nicht, weil wir es nicht können. Wir dürfen traurig sein, wir dürfen
weinen, wütend und verzweifelt sein. Wir dürfen Angst haben. Wir dürfen all den
Emotionen, die hochkommen, Raum geben, ohne uns dafür zu schämen oder zu
verurteilen. Und zugleich dürfen wir gut für uns sorgen, auch wenn es schwer
ist. Jetzt dürfen wir uns selbst wie eine hinreichend gute Mutter umsorgen und
tun, was uns tröstet und wenn wir mit dem Teddy aus Kindertagen ins Bett gehen
und ihn nass heulen. Wir gehen da durch - immer nur diesen einen Tag im Blick,
die nächsten 24 Stunden.
Alles was tröstet, außer dem
Unheilsamen, hilft den Schmerz zu lindern. Wir müssen uns selbst und anderen jetzt
nichts beweisen, wir müssen nicht stark sein. Gerade in der Fähigkeit unsere
Schwäche zuzugeben, liegt für mich eine große Stärke. Wir nehmen uns ernst.
Zum Menschsein gehört Schmerz. Wer
etwas anderes glaubt hat das leben nicht verstanden. Unser Schmerz ist nichts
wofür wir uns schämen sollten oder uns verstecken, damit die anderen es nicht
bemerken. Wenn wir den Mut haben ehrlich zu
uns selbst und zu anderen zu sein, können auch die anderen ehrlich zu uns sein.
Sie dürfen sich öffnen und ihren eigenen Schmerz anerkennen und ihn aussprechen.
Jeder von uns kennt ihn und mach einer von uns durchlebt ihn gerade. Reden
hilft, mit Jemand, der keine guten Ratschläge gibt, mit Jemand, der uns ernst
nimmt und uns wirklich zuhört, ohne zu bewerten. Mit Jemand, der uns Trost
schenkt, der uns Mut macht und uns erkennen lässt, was wir gerade nicht sehen
können, nämlich wie sinnvoll und wertvoll unser Leben ist, wie liebenswert wir
sind, mit dem Schmerz.
Eines sollten wir nicht vergessen:
Wir sind nicht unser Schmerz, wir haben Schmerz. Andere Teile in uns sind
durchaus fähig auch Momente der Freude, der Ruhe, des Friedens zu fühlen und
bedacht und verantwortungsvoll zu handeln.
Alles, alles geht vorüber. Das Leben
verläuft nicht linear. Das Leben trägt alles in sich. Und wir sind Lebendige.
Und ja, auch der Schmerz, der bleibt, geht in gewisser Weise vorüber. Indem er
sich wandelt und uns. Im besten Falle werden wir mitfühlender und gütiger uns
selbst und unseren Mitmenschen gegenüber.
„Our lived lives, might
become a protracted mourning for, or an endless tantrum about, the lives we
were unable to live. But the exemptions we suffer, whether forced or chosen,
make us who we are.”
Adam Phillips