Malerei: Angelika Wende
Allein in Deutschland nehmen sich jährlich c.a. 10.000
Menschen das Leben.
Die Anzahl der Suizidversuche ist um ein Vielfaches höher.
Suizidalität kommt in allen sozialen Schichten vor. Sie kann junge und ältere
Menschen gleichsam betreffen. Studien zufolge sind jedoch Männer in
fast jeder Altersgruppe wesentlich suizidgefährdeter als Frauen. Nur in der
Altersspanne zwischen 15 bis 19 Jahren ist die Suizidrate bei Mädchen und
Jungen in etwa gleich hoch. Besteht eine Selbsttötungsgefährdung spricht man von
Suizidalität. Die Gründe für die Entwicklung einer Suizidalität und die sich
anschließende Selbsttötung sind vielfältig. Eines aber haben alle Menschen, die
sich selbst töten, gemeinsam: Sie befinden sich in einer verzweifelten
Situation, die sie an ihre persönlichen Grenzen bringt. Sie können und wollen
nicht weiterleben, weil sie einen unerträglich hohen Leidensdruck haben und
keine Hoffnung mehr, dass sich etwas ändern könnte. Auf die Frage: Wozu weiter leben?,
finden sie keine Antwort.
Wer sich selbst tötet
hat den LebensSinn verloren.
Sinn ist dann bedroht, wenn ein Mensch nichts mehr hat, was
ihn von Innen hält. Dann ist der Mensch verzweifelt. Ist der Sinn verloren wird die Verzweiflung ins Unbewusste verlagert.
Die Leere, die dann gefühlt wird, ist nicht anderes als schiere Verzweiflung am
Verlust des Lebenssinns - die Verzweiflung am eigenen Sein, das wirkungslos
geworden ist und als nutzlos empfunden wird. Ein Mensch ist verzweifelt, wenn
er an einen Punkt gelangt, an dem er nicht mehr weiter weiß. Solange er noch
zweifelt, verzweifelt er nicht, dann gibt es noch Alternativen und
Möglichkeiten. Erst wenn diese restlos ausgeschöpft sind, ist der Mensch
erschöpft – es kommt zum Bruch zwischen Ich und Welt.
Der einzige Ausweg: Diese
Welt verlassen. Die Flucht in den Tod.
Viele Menschen glauben Suizide und Selbsttötungsversuche
sind ein Symptom einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung, wie z.B.
einer Depression. Tatsächlich aber konnten empirische Studien bisher keinen
ursächlichen Zusammenhang zwischen Depression und Selbsttötung finden.
So haben
Langzeituntersuchungen ergeben, dass etwa 15% aller stationär behandelten depressiven
Patienten an Suizid sterben. Ein Bestehen von ausgeprägten depressiven
Verstimmungen konnte bei c.a. 70% der an Suizid Verstorbenen nachgewiesen werden.
Zum Zeitpunkt von Suizidgedanken und Suizidversuchen zeigten sich zwar immer auch depressive Symptome, andererseits
berichtet ein Großteil depressiver Menschen niemals Suizidgedanken zu haben.
Um sich selbst zu
töten gibt es viele Auslöser.
Das können Trennungen, Liebeskummer, der Verlust
eines nahestehenden Menschen, Einsamkeit, Verlust der Existenz, Schulden,
unerträgliche seelische und/oder physische Schmerzen, unheilbare Krankheiten
oder psychische und körperliche Behinderungen sein, die der Betroffene nicht
mehr ertragen kann.
Die Suizidforschung glaubt zwar, dass eine medikamentöse Behandlung mit begleitender Psychotherapie einem Betroffenen
helfen kann, ihn aber nicht zwingend von einer Selbsttötung abhält. In einigen
Fällen kommt es sogar vor, dass sobald
Betroffene ein Antidepressivum einnehmen und es anschlägt, erst die Kraft entsteht
die Selbsttötung auch zu vollziehen.
Es ist
enorm wichtig, dass Selbstmordabsichten möglichst früh vom nahen Umfeld der
Betroffenen erkannt und vor allem ernst genommen werden.
Nicht selten kündigen Menschen ihre Selbsttötungsabsicht
immer wieder an. Selbstmordgedanken entwickeln sich in vielen Fällen über einen
längeren Zeitraum. Man spricht dann von anhaltender Suizidalität. Diese
ist immer mit einem langen Leidensweg verbunden. Dann plötzlich geschieht
etwas, das dem Betroffenen den Rest gibt. Das Fass des nicht mehr Erträglichen
kommt zum Überlaufen und wird zum akuten Auslöser für den Suizid. Nicht immer
also reflektieren Menschen mit Suizidabsichten gründlich über diesen Schritt,
in den meisten Fällen ist die Suizidhandlung eine Impulshandlung, die dann
vollzogen wird, wenn der seelische Schmerz unaushaltbar wird. Ubrigens: Selbstmörder sind keine schwachen
Menschen. Egal wie stark ein Mensch ist, es gibt in jedem Leben etwas, das einen Menschen so
stark treffen kann, dass es ihn bricht.
Ich kann Menschen, die sich das
Leben nehmen, verstehen.
Ich
kann absolut nachvollziehen, dass ein Mensch an einen Punkt kommt an dem er
nicht mehr weitermachen will, weil der Schmerz, die Last, die Müdigkeit, die
Enttäuschung, der Überdruss, die Trauer, der Ekel am Leben, so groß sind, dass seine
Seele es nicht mehr schafft. Ich kann verstehen, dass ein Mensch, wenn er nach
ewigen Anstrengungen keine Lösungsmöglichkeiten für seine Nöte und Sorgen sehen
kann, beschließt, sich aus seiner Not zu befreien indem er den Tod wählt. Ich
kann verstehen, dass das Gefühl des Scheiterns und der Sinnlosigkeit, die
Einsamkeit und die Resignation so groß und übermächtig werden, dass da nur noch
Verzweiflung ist. Manchmal ist die Verzweiflung so groß, dass nicht einmal mehr
Hilfe angenommen werden kann. Die Seele ist müde. Sie hat aufgegeben. Das
ist bitter. Das ist das Traurigste was einem Menschen widerfahren kann.
Jeder entscheidet für sich, jeder ist für sich selbst verantwortlich und
damit ist er auch derjenige, der entscheidet, ob er sein Leben beendet, wenn
er es nicht mehr aushalten kann.
Aber was ist mit denen, die er
zurücklässt?
Ich
habe es erlebt, ich bin eine von denen, die zurückgelassen wurden. Eine von
denen, die lange und vergeblich gekämpft haben um das Leben eines geliebten
Menschen, der sich aufgegeben hat und keine Hilfe mehr annehmen wollte.
Was ist mit uns, die lieben und deren Liebe keinen mehr Wert hat für den, der
sein Leben nicht mehr leben will? Weil er die Liebe nicht mehr spüren kann.
Weil er innen tot ist.
Wir müssen erkennen: Liebe rettet nicht. Eine schreckliche Erkenntnis. Liebe,
die nicht angenommen werden kann, richtet nichts aus. Hilfe, die nicht genommen
werden kann oder will ist vergeblich. Auch das ist eine grausame Wahrheit, die
schwer anzunehmen ist.
Was
fangen wir damit an, wir die Zurückgelassenen? Wir haben die Wahl. Wir könnten sagen: Ja, so ist es und es akzeptieren oder
wir können uns wehren gegen das was ist. Was dann? Dann leiden wir.
Vielleicht tröstet es ein wenig anzuerkennen: Wir haben keine Macht über
andere Menschen.
Ich
weiß, das macht den Schmerz nicht kleiner. Aber vielleicht die Wut auf den, der
sich getötet hat, der uns und seine Familie verlassen hat, die ihn so sehr
gebraucht hätten. Der uns zurückgelassen hat mit der Trauer, dem Schmerz, der Ohnmacht
und der Frage: Haben wir wirklich alles getan um ihn zu retten?
Und wieder: Wir haben nicht die Macht einen Menschen, der sein Leben beenden
will, davon abzuhalten. Und nein, es ist nicht unsere Schuld, dass wir es nicht
vermögen. Es ist seine Entscheidung. Eine Entscheidung, die ihn in seinen Augen
erlöst und uns damit Schmerz zufügt. Aber dieser Schmerz ist geboren aus
Egoismus. Wir wollen nicht leiden unter seiner Entscheidung. Das zu erkennen
tut weh, genauso weh wie es weh tut, dass ein Mensch, den wir lieben, sich
aufgibt. Manchmal im Leben müssen wir erkennen, dass uns nichts bleibt als die
Ohnmacht. Und das erfordert Demut. Eine der schwersten Übungen in diesem
vergänglichen Leben.
Wenn
ich heute, zwei Jahre nach der Selbsttötung meines geliebten Menschen, an ihn
denke, empfinde ich noch immer Schmerz. Ich empfinde tiefes Mitgefühl
und einen großen Kummer darüber, dass dieser Mensch so entsetztlich gelitten
hat, dass er nur diesen einen Ausweg nehmen konnte.
Möge er dort wo er ist, das
gefunden haben, was er hier nicht mehr finden konnte.