Samstag, 30. März 2019

Feststecken


Wenn die Umstände so sind, dass weder Widerstand vorhanden ist, der sich überwinden ließe, noch die Dinge von selbst nachgeben, sondern alles zäh und träge ist wie Schlamm, wird jede Bewegung gelähmt.
Wir stecken fest.
Dann bleibt uns nichts anderes übrig als uns dem Leben gegenüber hingebend zu verhalten.
Wir tun das indem wir inne halten, uns zurückziehen, zur Ruhe zu kommen und darauf vertrauen, dass sich die Dinge von selbst zu unserem Wohl lösen.

Donnerstag, 28. März 2019

Ablenken

Foto: Claudia Krug, Malerei A.W.

Wenn die Gedanken kommen, die unguten, die dysfunktionalen, dann ablenken.
Wenn die Angst kommt, die unausprechliche, die wabernde ohne Gesicht, dann ablenken.
Wenn die Trauer kommt, die alte, die ohne Namen, dann ablenken.
Wenn die Melancholie kommt, die schwarze, die tiefe, dann ablenken.
Wenn die Wut kommt, die ohnmächtige, die gewaltige, dann ablenken.
Wenn die Verzweiflung kommt, die bodenlose, die innerlich zerreissende, dann ablenken.
Wenn der Schmerz kommt, der unausgesprochene, der nagende, dann ablenken.

Wie lange und wie oft willst du dich noch ablenken?




























Dienstag, 26. März 2019

Autophobie, die Angst vorm Alleinsein


Foto: A.W.

Ich halte es mit mir allein nicht aus. Es macht mir Angst allein zu sein. Aus dieser Angst heraus bleibe ich in Beziehungen, die mir nicht gut tun, die mir sogar schaden. Ich habe solche Angst davor allein zu sein, dass ich mich immer wieder auf faule Kompromisse einlasse und leide. Ich will das nicht mehr. Ich kann so nicht mehr leben. Ich gebe mich völlig auf, ich mache Dinge, die ich nicht will, ich verrate mich selbst und ich mag mich selbst nicht mehr, weil ich das tue. Ich tue das, ich sehe mir selbst dabei zu, wie ich es tue und kann nicht damit aufhören. 

Die Klientin, die das sagt, ist am Ende ihrer Kraft.
Sie ist innerlich zerrissen. Sie befindet sich in einer Phase der Lähmung die sie davon abhält zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen. Sie findet es unmöglich sich zu positionieren, weder klar für ein Ja noch für ein Nein. Die Angst vor der Entscheidung, die sie zu treffen hat, nämlich die Trennung von ihrem Partner, nimmt sie vollkommen ein. Also trifft sie lieber keine, als eine in ihren Augen schlechte Entscheidung. Sie glaubt nur wählen zu können zwischen Pest und Cholera. Verlässt sie die ungesunde Beziehung ist sie allein, was sie nicht auszuhalten vermag, bleibt sie in der Beziehung, verleugnet sie sich weiter selbst und wird seelisch und/oder im Zweifel sogar körperlich krank. 

Ich bitte sie mir zu sagen, was ihr zu dem Begriff Alleinsein einfällt.

Alleinsein, das ist das Gefühl du gehörst nicht dazu, weil du nicht okay bist. Alleinsein, das fühlt sich an wie Zurückweisung. Du bist aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Du gehörst nicht dazu. Das macht mir Todesangst. Alleinsein macht mir Todesangst.


Aber sie wissen, dass sie am Alleinsein nicht sterben, sage ich. 


Ja, ich weiß das, antwortet sie. Ich war oft genug allein in meinem Leben, aber immer wenn ich allein bin bekomme ich Panikattacken. Ich werde hypochondrisch. Ich denke beim kleinsten Bisschen ich werde unheilbar krank. Das ist wie ein Karussell in meinen Kopf, das sich ständig um die Angst vor Krankheit und Tod dreht. 


Beschreiben Sie mir bitte das Gefühl, sage ich. 


Ich habe das Gefühl unterzugehen, mich zu verlieren. Das ist ein körperlicher Schmerz, so als würde ich innerlich zerreißen. Da ist das Gefühl in einem unendlich großen ungeschützten Raum zu sein, wo keiner mehr ist außer mir. Nichts was mir Halt gibt. Ich sinke. Ich trudele im Leeren. Der Raum hat keinen Anfang und kein Ende. Keinen Fixpunkt. Ich muss sterben. Genauso fühlt sich das an.
 

Die Klientin empfindet Alleinsein als existentielle Bedrohung. Im Verlauf unserer Sitzungen kamen wir der Angst meiner Klientin auf die Spur. Sie leidet an Autophobie.

Die Angst vor dem Alleinsein wird in der Psychologie als Autophobie bezeichnet.  

Der Begriff beschreibt die Angststörung allerdings nur sehr ungenau. Denn gekoppelt an die Angst vor dem Alleinsein ist auch die Angst vor Ablehnung, Trennung und Verlust. Und zwar immer dann besonders, wenn Betroffene in einer Partnerschaft leben und eine zu enge emotionale Bindung an den anderen haben. 
Mit dieser emotionalen Abhängigkeit einher gehen Verlustangst und die Angst davor keine Liebe und keine Aufmerksamkeit mehr zu bekommen. Das starke Bedürfnis nach Halt und Zuneigung läuft ins Leere. Für einen Autophobiker bedeutet das: Ich bin verloren, wenn ich nicht gesehen und nicht geliebt werde. 

Wir alle haben das Bedürfnis zu einem anderen zu gehören, den Wunsch nach Liebe und Zuneigung. Menschen, die all das nie oder nicht ausreichend bekommen haben, brauchen es umso mehr. Daran ist nichts Schlimmes. Es macht auch keinen Sinn sich dafür zu verurteilen oder zu schämen. Bedürfnisse wollen anerkannt werden. Bei meiner Klientin jedoch wirkt die Nichterfüllung ihrer Bedürfnisse wie ein kalter Entzug.
 

Für Menschen, die die Angst vorm Alleinsein nicht kennen ist dies absolut nicht nachvollziehbar. Und für Menschen, die diese Angst haben, ist es schambesetzt mit anderen darüber zu reden. Daher sind sie mit ihrem inneren Drama oft sehr allein. Was die Angst verstärkt. Sie leiden unvorstellbar.

Von einer Autophobie spricht man dann, wenn die Angst vor dem Alleinsein mit Leid verbunden ist.   

Betroffene erleben das Alleinsein als Bedrohung. Mit sich selbst allein fühlen sie sich ausgeschlossen aus dem sozialen Gefüge und absolut hilflos. Die Angst wird dann sogar körperlich spürbar. Sie sucht sich Ausdruck in Panikattacken. Herzrasen, Schmerzen oder Druck auf der Brust, permanent erhöhter Puls, Herzrhythmusstörungen, Gobusgefühl und schnelle Atmung sind nur einige körperliche Symptome. Auf der emotionalen Ebene kommt dann die Angst vor Auflösung hinzu oder das Gefühl ins Bodenlose zu fallen.

Viele Menschen die unter Autophobie leiden haben in der Kindheit emotionale Ausgrenzung, verbale und körperliche Demütigung, Missbrauch, Vernachlässigung, Verlassen werden von einer wichtigen Bezugsperson oder Verlust durch den Tod einer nahen Bezugsperson erfahren.  Andere haben eine zu symbiotische Beziehung zu einem Elternteil. Sie wurden überverwöhnt und haben nicht gelernt mit ihren eigenen Gefühlen umzugehen. Ihnen fehlt die Erfahrung der Selbstregulation und der Selbsteberuhigungskompetenz.


Beide haben eins gemeinsam: Mit ihren Gefühlen waren sie sich selbst überlassen.  Es gab niemanden, der ihnen half diese Gefühle anzuschauen und zu verarbeiten. Es gab keinen menschlichen Bezugspunkt an dem sie sich orientieren konnten. Sie mussten mit dem was ist selbst fertig werden, was sie als Kind natürlich nicht konnten. Sie waren geistig und emotional komplett überfordert. In der Folge versuchen Menschen, die diese existentiell bedrohliche Erfahrung machen mussten, ihr späteres Leben entsprechend so zu organisieren, dass sie das Alleinsein meiden indem sie dafür sorgen immer in einer intimen Beziehung zu sein. Wobei das nicht bedeutet, dass sie nie allein sein können. Sie können durchaus Zeit gut mit sich alleine verbringen, vorausgesetzt sie befinden sich in einer Beziehung. Sie brauchen immer mindestens eine nahe Bezugspersonen als seelischen Halt. 

Nicht selten geraten diese Menschen daher in eine emotionale Abhängigkeit. 
Aber je abhängiger sie werden, desto größer wird die Verlustangst. 
Sie klammern sich an den anderen als ginge es um ihr Leben.  
Jede Zurückweisung, jede Ablehnung von Seiten des anderen fördert die negativen Gefühle bis hin zur ausgeprägten Panik. Der unselige Kreislauf beginnt: Je mehr sie sich an den anderen klammern, desto mehr verlieren sie an Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit. Sie passen sich den Bedürfnissen und Erwartungen des anderen an, nur um nicht allein sein zu müssen. Sie verlieren sich selbst im anderen. Sie geben sich auf, weil sie unbewusst glauben allein unterzugehen. Sie nehmen Dinge in Kauf, die alles andere als heilsam sind ud ihnen schaden, nur um nicht allein sein zu müssen.
Das Fatale ist: Die Betroffenen spüren und wissen meist wie unangemessen ihre Gefühle und ihr Verhalten sind, aber die alte Angst des Inneren Kindes vor Verlust und Einsamkeit ist mächtiger als jedes Wissen und gesunde Selbstfürsorge. 

Negative Erfahrungen und unverarbeitete Erlebnisse aus der Kindheit sind Auslöser der Autophobie.  Diese Erfahrungen wurden tief im limbischen System des Gehirns abgespeichert. Aufgrund dessen sind diese Gefühle weiterhin vorhanden und nehmen Einfluss auf das Leben.

Die Erinnerungen an die längst vergangenen und eigentlich abgeschlossenen Erfahrungen kommen immer wieder hoch sobald eine ähnliche Situation wie damals eintritt. Die alte Angst wird zur Panik im Jetzt. Genau wie es meine Klientin erlebt und beschreibt. Fehlt der emotionale Anker, fällt sie in eine existentiell bedrohliches Loch.

Wie helfen? 
Meine Klientin, die kein Urvertrauen mitbekommen hat, muss lernen sich selbst zu vertrauen. Sie muss lernen Stärke und Halt in sich selbst zu finden. Sie lernt, dass ihre Angst alt ist. Sie lernt, dass sie heute erwachsen ist und nicht mehr das verlassene hilflose Kind, das sie einst war Sie lernt, sich ihrem inneren Kind zuzuwenden, seine Gefühle ernst zu nehmen und mit der Zeit, wenn dieses Kind Vertrauen gefunden hat, wird es spüren, dass es nicht allein ist, niemals, denn die Erwachsene ist eine hinreichend gute Mutter, die es halten kann. Zudem sind auch Achtsamkeitsübungen und Meditation sehr hilfreich, denn sie sind elementare Methoden zur Selbstberuhigung.
Das ist ein langer Weg.
Es reicht bei weitem nicht aus zu wissen, woher die Angst vor dem Alleinsein kommt. Sicher ist es in den meisten Fällen sinnvoll, ursachenorientiert vorzugehen und die traumatischen Erfahrungen zu bearbeiten und zu verarbeiten. Dies ist ein wichtiger erster Schritt um bewusst Distanz zu den Angstgefühlen einnehmen zu können, aber entscheidend ist: Es geht für meine Klientin darum fühlen zu lernen, dass sie alleine nicht untergeht.  
Ich gebe Ihr Hausaufgaben.
Ich zeige ihr Übungen um mit der Angst umgehen zu lernen. Sie lernt, dass sie nicht ihre Angst ist, sondern Angst hat. Und dasss sie sie aushalten kann, ohne sich von ihr überfluten zu lassen.

Ich schlage ihr vor,  sich selbst wenn die Angst kommt zu fragen: Wie groß ist gerade meine Angst vor dem Alleinsein und welche Reaktionen (körperlich, emotional, Handlung) folgen darauf? Es ist hilfreich die Antworten auf diese Fragen in einem Angsttagebuch festzuhalten und dieses solange zu führen, bis eine Besserung  verspürt wird. Je öfter und je länger sie die Zeit des Alleinseins aushält und sich der Angst stellt, mit ihr arbeitet und erkennt, dass keine reale Gefahr droht, desto mehr lässt die Angst nach. 

Um mit dem Alleinsein besser leben zu können ist es notwendig Bindung nicht nur zu einem Menschen aufzubauen, sondern sich ein soziales Netz zu schaffen. Hilfreich ist jedoch vor allem  die Arbeit mit dem verletzten Inneren Kind, das nie gelernt hat, sich selbst zu vertrauen. Dieses Kind darf erfahren, dass es nicht allein ist, dass es gehalten wird und zwar von einem starken inneren Erwachsenen. Diesen gilt es zu stärken. Es ist möglich, auch wenn es Zeit, Übung und viel Geduld braucht.Und ja, diese Angst wird vielleicht neimals ganz weggehen, aber wir können lernen uns von ihr nicht mehr beherrschen zu lassen. Sie zu akzeptieren als einen Teil von uns, der eben da ist, aber nicht mehr diese immense Macht hat. Wir können lernen ihr auf Augenhöhe zu begegnen. Und das ist viel.







  

Montag, 25. März 2019

Einfach mal still sein



Foto: A.W.

März, Frühlingsanfang. Die Kraft des Aufbruchs. Das Ende der langen Dunkelheit.
Diese kraftvolle Zeit können wir nutzen um zur inneren Balance zu finden.
Öfter den Moment genießen.
Nach Innen gehen. Einfach mal still sein.
Die Gedanken in der wärmenden Frühlingssonne auf die Reise schicken.
Uns fragen:
Was bringt mich ins Gleichgewicht?
Was stört meine Balance?
Was überfordert mich oder raubt mir Kraft?

Wovon möchte ich mich verabschieden? 
Und umgekehrt:
Was macht mir Freude?
Was gibt mir Kraft?
Was gibt mir Sinn?
Was könnte ich zum Besseren wenden?

Schon ein paar kleine Veränderungen sind hilfreich um mehr Ausgleich und glückliche Momente im Leben zu finden.
Es sind die kleinen Dinge, die Großes bewirken können.

Samstag, 16. März 2019

Liebevolle Zuwendung






Einem Kind, das Angst hat zu sagen, du musst keine Angst haben, ist nicht hilfreich.
Davon geht die Angst nicht weg. Wer es versucht hat weiß das. Liebevolles Zuwenden bedeutet die Angst des Kindes ernst zu nehmen. Fürsorge bedeutet es zu fragen, wovor es Angst hat und diese Angst mit ihm gemeinsam anzuschauen, das Kind zu verstehen, zu trösten und mit ihm gemeinsam zu schauen, was gegen die Angst helfen kann. Das alles bedeutet, das Kind mit seinem Gefühl ernst zu nehmen. Indem wir es ernst nehmen, nehmen wir es an.

Genauso ist es mit uns Erwachsenen. Manchmal sind auch wir, wenn uns ungute Gefühle überfluten, wie Kinder. Wenn wir diese Gefühle dann anderen gegenüber, denen wir vertrauen, aussprechen, brauchen wir genau das selbe wie ein Kind in seiner Angst: Wir möchten ernst genommen werden. Wir möchten verstanden werden und ja, wir möchten getröstet werden. Das ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis für das wir uns nicht schämen müssen.

Leider haben wir nicht alle das Glück Menschen um uns zu haben, die das vermögen oder tun wollen. Wie oft müssen wir erleben, dass wir mit unseren Gefühlen zurückgewiesen werden, dass man sie wegwischt, als seien sie eine Lapalie und nicht so schlimm oder sogar nicht wahr und nur Einbildung. Das schmerzt. Und wir müssen allein damit klarkommen.

Das zeigt uns aber auch wer mit uns mitfühlt und wer für uns da ist, wenn es uns einmal nicht gut geht. Es zeigt uns, auf wen wir zählen können und auf wen nicht. Es zeigt uns, wer sich Zeit nimmt für uns, auch wenn er gerade nicht viel Zeit hat. Es zeigt uns, ob uns jemand wirklich liebevoll zugeneigt ist oder nicht. Es zeigt uns, wie wichtig wir ihm sind oder eben nicht.
Wenn wir die Gefühle eines anderen ernst nehmen, zeigen wir unsere Zugewandtheit, unser Verständnis und unsere Fürsorge. Allein das ist schon tröstlich.

Freitag, 15. März 2019

Vom Umgang mit dem Älterwerden als Frau



Auch wenn wir gern etwas anderes glauben möchten, in unserer Gesellschaft werden ältere Männer und ältere Frauen noch immer mit ungleichen Maßstäben gemessen. Während Männer mit zunehmendem Alter interessanter werden, vorausgesetzt sie haben trotz Kugelbauch und Tränensäcken Geld, Macht und Einfluss, nimmt der Attraktivitätsert Wert der Frauen spätestens nach nach dem fünfzigsten Lebensjahr in den Augen vieler Menschen ab. Hochglanzmagazine und Medien präsentieren fast ausschließlich junge attraktive Frauen. Sie  gaukeln den Menschen vor, dass die erstrebenswerten Attribute einer Frau sich aus Schönheit, Ebenmaß und glatter Haut ergeben. Frauen, die diese Attribute nicht mehr besitzen, verschwinden im Nebel, zumindest fühlt es sich für viele Frauen so an, wenn sie feststellen, dass ihnen kaum noch bewundernde männliche Blicke folgen. Zwar gibt es in letzter Zeit den Trend attraktive ältere weibliche Models zu zeigen, diese aber werden zu einer Art Kunstikone stilisiert, an deren äußere Attribute die normale Frau ebenso wenig herankommt wie an die verflossene Schönheit der Jugend.

„Die Männer beteuern immer, sie lieben die innere Schönheit der Frau komischerweise gucken sie aber ganz woanders hin“, sagte Marlene Dietrich, die sich im Alter vollends von der Welt zurückzog und ihre letzten Jahre in selbstgewählter Einsamkeit verbrachte, begleitet von ihren letzten Freunden, dem Alkohol und Psychopharmaka. Die Diva war ein Extremfall, dennoch - die Wahrheit ist, die meisten Frauen leiden am Älterwerden.

Aufgrund der gesellschaftlich fixierten Normen von Attraktivität und der Vorstellung vom Wert einer Frau, der sich noch immer, trotz Frauen in Führungspositionen und den Parolen einer nimmermüden Alice Schwarzer maßgeblich über Äußerlichkeiten definiert, haben viele Frauen, wenn sie älter werden mit ihrem Selbstwertgefühl zu kämpfen.
Dass dies nicht nur eine Folge des Älterwerdens ist wird dabei übersehen. Selbstwertgefühl wird nur dann schwächer, wenn es in jungen Jahren nicht vorhanden war, nur fällt es in späteren Jahren mehr ins Gewicht, denn es lässt sich nicht mehr hinter einer jugendlich attraktiven Fassade verbergen. Die Maske bröckelt und lässt sich immer schwerer überschminken. Viele Frauen geraten in eine Sinnkrise wenn sie älter werden. Dazu kommen oft Versagensgefühle, innere Leere und Depressionen, besonders wenn Lebensumstände wie das Empty Nest Syndrom, eine Trennung vom Partner oder  Verlust des Arbeitsplatzes, der einer Jüngeren gegeben wurde, hinzukommen. Der Blick in die Zukunft einer Frau, die die Fünfzig überschritten hat und alleine lebt, sieht nicht gerade rosig aus. Die  Figur verändert sich durch die Hormonumstellung,  die Haut wird faltiger, die Haare dünner, die Konturen des Gesichts senken sich und der Blick in den Spiegel macht täglich schmerzhaft bewusst, dass Frau in die letzten Jahre kommt.
Zeit Résumé zu ziehen. Und genau das tun Frauen ebenso wie Männer wenn der Zenit überschritten ist, nur tun sie es anders. 
Während viele Männer noch einmal den zweiten Frühling künstlich einläuten, indem sie sich eine jüngere Frau suchen, oder sich ihre Männlichkeit noch einmal beweisen, indem sie plötzlich die Lust auf nicht gehabte Abenteuer packt, versinken viele Frauen in einer sentimentalen Rückschau auf ihr Leben. Besonders schwer ist es für Frauen, die der Kindererziehung wegen ihren Beruf aufgegeben haben. Sie finden beim Rückblick auf ihr Leben nichts, was sie an Sinnhaftem für sich selbst vorzuweisen haben. Als sei die Leistung eine Familie zusammenzuhalten und Kinder groß zu ziehen nichts, fühlen sie sich plötzlich überflüssig und ausrangiert wie ein zerschlissenes Kleid. Sie sind finanziell von ihrem Mann abhängig und haben nichts, was sie von Innen hält. Ist die Ehe zerbrochen kommen häufig noch das Gefühl der Isolation, Geldknappheit und Einsamkeit dazu. All dies führt bei vielen Frauen zu diffusen psychosomatischen Beschwerden wie schlechten Schlaf, Konzentrationsstörungen, innere Unruhe und diffuse Ängste. Dazu kommen die Beschwerden der Wechseljahre wie Hitzewallungen und andere körperliche Missempfindungen. Alles Dinge, die in der Tat an die Substanz gehen können.
Der Umgang mit dem Älterwerden ist eine Kunst, die uns niemand beibringt und jede Frau geht anders damit um.  
Dennoch, wie bei jeder Situation, auf die sich der Mensch neu einstellen muss, durchläuft er auch hier individuell verschiedene Phasen. Alle Phasen haben jedoch eins gemeinsam: Sie beginnen mit dem Blick in den Spiegel und dem Gewahrsein, dass die Zeit der Welke beginnt. Plötzlich blicken unsere Augen der eigenen Vergänglichkeit ins Antlitz. Verglichen mit dem inneren Bild der jüngeren Frau, das wir in uns tragen, erscheint da ein uns fremd anmutendes Gesicht, das doch nicht wirklich das unsere sein kann. Aber, es macht keinen Sinn es nicht sehen zu wollen, auch wenn das in vielen Fällen unsere erste Reaktion ist.
Willkommen in der Verleugnung des Alters.
Eine Frau die ihr Alter verleugnet bewegt sich rückwärts. Sie trägt plötzlich betont jugendliche Kleidung, sie schminkt und frisiert sich auffällig. Sie investiert eine Menge Geld in den Besuch  bei der Kosmetikerin, kauft jede neue Antifaltencreme, die ihr ewige Jugend verspricht, treibt wie besessen Sport und achtet auf jedes Gramm Fett zuviel. Alles in der Hoffnung dem Altern ein Schnippchen zu schlagen und es solange wie möglich aufzuhalten. Manche legen sich unters Messer, lassen sich Botox oder Hyaluronsäure spritzen und werden zu Junkies von Schönheitschirurgen. Andere tun sich mit gleichgesinnten Freundinnen zusammen und verbringen ihre Abende auf Ü40 Parties wo sie sexuelle Abenteuer suchen, um sich ihre noch vorhandene Attraktivität durch Männer bestätigen zu lassen. Frauen in dieser Phase reden nicht über ihr Alter. Sie reagieren empfindlich wenn man sie darauf anspricht. Sie betreiben den untauglichen Versuch es mit aller Macht zu verdrängen. Dass das Kraft kostet versteht sich von selbst. Und wohin das führt, kann man sich denken. Wer nicht bereit ist sich mit der eigenen Vergänglichkeit auseinanderzusetzen wird von ihr eingeholt. Sie lässt sich weder wegschminken, noch wegschneiden, noch wegdenken – sie ist da, unter der Maske des Nichthinschauenwollens und arbeitet sich mit Zähigkeit  von unten nach oben , solange bis sie die künstliche Maske durchstößt und der morgendliche Blick in den Spiegel keiner Leugnung mehr standhält. Der Fall in die Realität ist schmerzhaft. Was dann?
Wer mit dem Altern hadert, hadert mit dem Schicksal und dem unvermeidlichen Lauf der Dinge. Er beginnt seinen Körper und sein Gesicht abzulehnen.  
Die Folge: Das Alter wird zum Feind. Das Bedauern sucht sich Raum und die feste Überzeugung, dass das Leben endgültig vorbei ist oder noch schlimmer, dass es uns etwas schuldig geblieben ist, wird zum destruktiven Begeiter. Die Angst vor der Zukunft wächst und mit ihr die Angst vor dem Tod. Selbstzweifel und Selbstvorwürfe wechseln sich ab. So manche Frau beginnt jetzt vielleicht zu begreifen, dass sie achtlos sich selbst gegenüber gelebt hat. Die Möglichkeiten etwas zu ändern werden nicht gesehen. Eine tiefe Resignation, die selbstzerstörerische Tendenzen annimmt oder in Depressionen führen kann, macht sich breit.
Wer will so leben? 
Niemand. Schon gar nicht den kostbaren Rest seines Lebens. 
Weit mehr macht es Sinn sich diese Fragen zu stellen: 
Wie komme ich in ein neues Gleichgewicht? 
Wer will ich sein in der Zeit der Reife? 
Wie will ich den Herbst und den Winter meines Lebens verbringen? 
Welche Identität möchte ich gestalten und damit meinem Leben eine neue Richtung geben?  

Eine schwere Übung, denn das heißt zuallererst: Der Realität mutig und gefasst ins Auge zu blicken und zu akzeptieren: Es macht keinen Sinn das Älterwerden ignorieren zu wollen, noch ist es hilfreich, es als Grund für die eigene Selbstabwertung zu funktionalisieren. Selbstwertgefühl lässt sich nicht chirurgisch einschneiden, es ist in uns oder nicht, es ist im Laufe des Lebens gewachsen oder nicht. Und es ist eine Frage unserer Biografie, ob wir es mitbekommen haben oder nicht. Ein gesundes Selbstwertgefühl wird im Alter nicht schwächer, im Gegenteil, es wächst.
Und wenn es schwächer wird, können wir etwas dagegen tun. Es gibt Hilfe, wenn wir sie uns suchen.
Eine Frau, die sich im Laufe ihres Lebens seelisch und geistig entwickelt hat, bezieht wenn sie älter wird, alles mit ein was sie in ihrer Vergangenheit gelebt und erfahren hat und legt es zu dem, was sie in der Zukunft noch erleben und gestalten will. 
Sie findet zwar ihre körperlichen Veränderungen nicht erfreulich, was sie ja auch nicht sind, da würde ich lügen, aber sie ist bereit sie anzunehmen. Sie lenkt ihren Blick nicht bitter auf das eigene Spiegelbild, sondern auf das, was das Alter an Wertvollem mit sich bringt. Im besten Falle eine andere Art von Schönheit. Vor allem mehr Zeit für die eigenen Wünsche und Bedürfnisse. All das, was sie nicht leben konnte, als die Pflicht und die Sorge um andere ihre Tage bestimmte. Sie tut mehr von dem, was der eigenen Seele und dem Geist Sinn gibt und was ihr gut tut. Sie erfindet sich velleicht sogar neu. Sie findet Wege um ihr inneres Gleichgewicht wieder zu erlangen. Natürlich ist das keine leichte Aufgabe, denn Gleichgewicht im Leben ist in keinem Alter von Dauer und es herzustellen ist eine Kunst. 

Sicher ist da die leise Melancholie, die das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit und Endlichkeit mit sich bringt, sicher ist da das Erkennen, dass das Meiste gelebt ist. Es gibt Krankheiten, Trennungen und Todesfälle, die sich im Alter um uns herum häufen und uns daran erinnern, dass auch wir irgendwann gehen müssen. Vielleicht sind wir selbst nicht mehr ganz gesund.
Wir machen die schmerzhafte Erfahrung von Trauer und Verlust. 

Was jetzt? Wie leben? Was machen wir mit dem Rest, der uns bleibt? Was gibt es zu finden, wo vieles verloren ist was wir liebten und als wichtig und lebenswert erachtet haben? 
Unsere Selbstachtung und unsere Eigenliebe vielleicht?
Wer sich selbst achtet und sich selbst gegenüber leibevoll und aufmerksam ist, wird mehr und mehr zu sich selbst finden und Frieden schließen mit dem was war und mit dem was ist.  

Das Älterwerden ist die Zeit nach Innen zu gehen. 
Langfristig wird man so dem eigenen Sein immer näher kommen. Das Alter trägt die Chance in sich, uns von oberflächlichen Tendenzen zu lösen und uns wirklich auf das zu konzentrieren, was uns gut tut und was uns wertvoll ist.  Es schenkt uns die Möglichkeit unsere Werte neu zu definieren und sie  konsequent zu leben. Damit wächst auch die Fähigkeit, sich selbst anzunehmen und wertzuschätzen für die Frau, die wir im Vergehen der Zeit geworden sind.
In den späten Jahre geht es um die Abstimmung persönlicher Ziele auf den jeweiligen Lebenskontext.  
Was wollen wir noch tun, was erreichen, was ist ungelebt und wie wollen wir es erreichen? 
Da die Ressourcen begrenzt sind, ist die Auswahl einer Teilmenge potenzieller Ziele notwendig, auf die die Ressourcen dann gebündelt werden.
 Hierzu zählt das Setzen neuer Prioritäten, die Konzentration auf zentrale Ziele und die Anpassung dieser Ziele an die jetzigen Gegebenheiten.
 

Dazu gehört vielleicht der Erwerb neuer Fertigkeiten, das Suchen und Finden von ungenutzen Ressourcen und die Integration dieser Fertigkeiten und Ressourcen in die weitere Lebensgestaltung. Welche Mittel haben wir um mit Verlusten, die das Altern mit sich bringt, umzugehen? 
Wie kompensieren wir beispielsweise den Verlust des Partners, wenn sich ein Neuer nicht finden lässt? 
Was tun wir, wenn wir Dinge und Vertrautes verloren haben oder gar bei Null anfangen müssen?
Wie wollen und können wir den Verlust äußerer und innerer Ressourcen bewältigen? 
Was können wir optimieren?
Was muss neu gefunden werden um unser Wohlbefinden zu erhalten oder um es wieder zu gewinnen?  
Was gibt uns Kraft?
Wo finden wir Freude?
 
Das sind wesentliche Fragen, die uns das Älterwerden stellt und nicht: Bin ich noch schön genug um auf dem Beziehungsmarkt zu bestehen?

Beauty is skin deep only – wahre Schönheit kommt von Innen. Wahre Schönheit entwickeln ist neben der Haltung der eigenen Würde für mich die größte Herausforderung des Alters.
Wer fähig ist Schönheit im Außen wahrzunehmen, trägt sie auch in sich selbst, denn das Außen ist ein Spiegel, der uns reflektiert, was wir in uns tragen. Was wir wahrnehmen, wie wir werten, was wir lieben, erzählt uns viel über unsere innere Schönheit. Also macht es Sinn herauszufinden, was wir im Außen wahrnehmen. Das Schöne oder das Hässliche, das Gute oder das Schlechte , die Freude oder das Leid? Am besten beides, denn nur dann begreifen wir den Wert aller Dinge und das Leben selbst.

Frauen die glauben im Älterwerden nicht mehr weiblich genug zu sein hatten oft auch in der Jugend keinen Zugang zu ihrer Weiblichkeit, sie haben nicht begriffen, was sie über die äußere Form hinaus bedeutet.  
Ein Grund dafür ist, dass wir Frauen uns immer im Spiegel der Männer sehen, weil wir so erzogen wurden. Aber das sagt nichts über das wahre Wesen unserer Weiblichkeit und ihre immense Kraft, nichts über ihre Klugheit und ihre Schönheit. Männer entziehen uns ein Leben lang Kraft, indem sie etwas von uns fordern, was wir nicht per se sind, ein schmückendes Attribut an ihrer Seite, eine leidenschaftliche, treue Geliebte, eine gute, verständnisvolle, sorgende Mutter und die beste Freundin, die mit ihnen durch dick und dünn geht. Das ist viel, zu viel an Erwartungen für ein Frauenleben. Und irgendwann ist es genug. Wir nutzen unsere Kraft für uns selbst, weil wir sie jetzt brauchen. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Im Älterwerden können wir uns entscheiden unsere Kraft endlich für uns selbst zu nutzen und uns  fragen: Was will ich und was will ich nicht mehr? 
Viele Frauen haben in der Lebensmitte und darüber hinaus ein großes Verlangen über den eigenen Schatten zu springen und sich selbst zu entfalten, ohne die Verantwortungen, die sie sich ein Leben lang aufgrund ihrer Konditionierungen in den Schoß haben legen lassen. Wichtig ist, sich klar zu machen, dass diese Entwicklung Zeit braucht. Der Wille sich selbst wichtig zu sein und sich selbst gut zu tun, muss reifen, so wie wir selbst mit den Jahren reifen.  

Selbstfürsorge lässt sich nicht plötzlich anknipsen, wenn wir sie ein Leben lang nicht gelebt haben. Sie ist Übungsache. Schritt für Schritt, geduldig und selbstmitfühlend , wenn es nicht so schnell geht wie wir es uns wünschen. Geduld und Zuversicht sind unsere täglichen Begleiter. 
Und schließlich kommt uns auch die Mythologie zu Hilfe. Eine ältere Frau ist archetypisch gesehen eine Frau, die die Zeit der Unschuld und des Nährens hinter sich hat, die sich einen Platz in der Welt geschaffen hat, an dem sie sicher, zufrieden und selbstmächtig ist. 
Sie ist tief, sie ist innerlich gereift und kennt ihre Grenzen. Sie weiß, dass das Leben nicht einfach ist und es nie sein wird und hat das akzeptiert. 
Diese Zeit ist, wenn wir sie zu nutzen wissen, die Erntezeit im Leben. 
Wir handeln weise wenn wir die Früchte unserer eigenen Erfahrungen erkennen und achten können und sie dann nutzen um sie weitergeben. Dazu gibt es unendlich viele Wege und Möglichkeiten, in der eigenen Familie, oder wir suchen uns Menschen, die wir unterstützen und begleiten können.  
Wir suchen uns eine Aufgabe, die unseren Gaben entpricht und machen sie uns zum Ziel. 

Wir bewegen uns voller Neugierde mental und körperlich ins letzte Abenteuer unseres Lebens.  
Bis es an der Zeit ist für die Zeit der weisen Alten, eine Zeit der inneren Ruhe und des Friedens mit uns selbst und der Welt. Die weise alte Frau ist in Frieden mit sich selbst und nährt andere mit ihrer Weisheit. 
Aber was ist weise? 
Weise ist, wer die wesentlichen Dinge des Lebens erkannt und anerkannt hat. Dazu gehört auch das Erkennen, dass das Alter nur dann zum Feind wird, wenn wir gegen es ankämpfen. Diesen Kampf können wir nur verlieren.








Mittwoch, 13. März 2019

IDENTITÄT IST DIE ANTWORT AUF ERFAHRUNG



Wahrheit ist nichts was wir irgendwo finden können. Auch wenn wir das gerne glauben wollen. Wahrheit ist etwas was wir erfahren, jeder von uns für sich selbst, in der Dynamik des Lebens, wie es uns als Individuum widerfährt. Aus dem was wir erfahren erschaffen wir uns unsere Wahrheit und stehen damit alleine da, in einer Welt, die unberechenbar ist und keine messbaren Garantien für uns bereit hält. Unsere Wahrheiten anderen mitzuteilen ist nicht selten ein schweres Unterfangen. Wie oft haben wir das Gefühl nicht verstanden zu werden. Gefühlt erfasst in dem, was wir vermitteln wollen, als der, der wir sind. Das ist selten. So selten, das viele von uns immer wieder die Erfahrung existentieller Einsamkeit machen.

Wir spüren, im Tiefsten sind wir allein. Wir spüren, wenn wir ein Problem haben, müssen wir es alleine lösen. Egal wie viele Menschen wir befragen - die Antworten finden wir nur in uns selbst. Und dann haben wir noch immer nicht die Garantie, das sie richtig sind. Weil es kein richtig und kein falsch gibt, sondern nur Erfahrung.

Aus dieser Erfahrung heraus werden wir zu dem Menschen, der wir sind. Aus dieser Erfahrung heraus bilden wir unsere Identität immer wieder neu.
Identität ist die Antwort auf Erfahrung und das was wir aus dieser Erfahrung heraus zu sein entscheiden.

Nichts ist feststehend, alles wandelt sich.
Auch unsere Wahrheiten wandeln sich. Und damit unsere Identität. Was heute für uns Gültigkeit hatte, kann morgen anders sein. Was wir heute sind oder zu sein glauben, kann morgen anders sein. Es ist in Ordnung, denn das ist Entwicklung. Zugleich ist es die Erkenntnis unserer fragilen Existenz in dieser Welt, in der nur eins sicher ist: Nichts ist ein für alle Mal sicher.

Namaste Ihr Lieben

Montag, 11. März 2019

Eine ohnmächtige Wut


Heute morgen wache ich auf und spüre eine ziemliche Wut im Bauch. Ich setze mich auf mein Meditationskissen und versuche die Wut einzuatmen und Frieden auszuatmen. Ich mache das eine ganze Weile und spüre keine Veränderung. Das Gefühl bleibt hartnäckig, es verwandelt sich nicht. Es stockt, sitzt fest, Gut, es will, dass ich es da sein lasse. 

Okay ich bin wütend, sage ich zu mir selbst, jetzt mache ich mir erst mal einen Kaffee. Die Maschine will nicht, sie ist blockiert. Ich werde noch wütender. Ich bin so wütend, dass ich das Gefühl habe, gleich platze ich vor Wut. In meiner Brust baut sich ein unangenehmer Druck auf. Ich versuche es ein zweites Mal mit dem Kaffeemachen. Wieder funktioniert es nicht. Plötzlich fließen die Tränen. Ich lasse sie fließen. Eine lange Weile. Die Wut löst sich auf, die Wut, die Schmerz ist, Schmerz über so vieles was in letzter Zeit in meinen Leben an kleinen und großen Unglücken geschehen ist. Der Tod des Vaters meines Sohnes, der vor einem Jahr plötzlich von uns ging, das Leid eines geliebten Menschen, der dabei ist sich selbst zu zerstören und den ich nicht mehr erreichen kann. All der Schmerz fließt in meine Tränen. Meine Wut kann gehen. Die Wut über das Leid, das ich nicht erleben will, das keiner von uns will, und immer wieder erleben muss. Die Wut über die Ohnmacht einem geliebten Menschen nicht helfen zu können, weil er Hilfe nicht annehmen will oder weil wir emotional viel zu nach dran sind um etwas zu bewirken. Dieses Gefühl von Ohnmacht macht uns wütend. Ohnmacht zeigt uns unsere Grenzen auf, die wir so gerne nicht spüren wollen, weil sie uns daran erinnern, wie wenig wir doch wirklich beeinflussen können, wenn das Schicksal, Gott oder ein Mensch nicht mitspielen. 

Vielen von uns geht es manchmal so. Wir sind absolut machtlos und das macht absolut wütend. Diese Wut ist okay. Wir dürfen wütend sein. Und wir sollten uns dafür nicht verurteilen. Wut ist ein starkes Gefühl. Sie ist sogar hilfreich, wenn wir ihren Urgrund verstehen und sie als Energiequelle nutzen um das zu verändern, was wir verändern können, nämlich das, was jetzt für uns selbst ansteht: Uns gut um uns selbst und unseren Schmerz zu kümmern. Fürsorglich und mitfühlend auf uns selbst zu schauen und uns selbst liebevoll behandeln, auch wenn wir diese Liebe gerade nicht spüren können. Uns um uns selbst kümmern, nach einer schweren Zeit. 

Dazu ist es wichtig den Focus von dem abzuziehen, was wir ums Verrecken nicht ändern können und ihn dahin zu richten wo wir etwas zum Besseren wenden können. Denn alles andere, das hat uns die Erfahrung der Ohnmacht gezeigt, ist Vergeblichkeit.
Das zu akzeptieren ist eine schwere Aufgabe, aber es bleibt uns manchmal nichts anderes übrig als Akzeptanz, sonst bleiben wir in unserer ohnmächtigen Wut stecken und damit stagniert unser Leben.
Es ist blockiert wie die Kaffeemaschine, die nicht funktioniert.
Sie geht wieder. Das Wasser fließt. Der Kaffee ist fertig. Ich gehe in den Tag und tue mein Bestes für mich selbst und die Menschen, die es annehmen wollen.


Namaste Ihr Lieben

Sonntag, 10. März 2019

Gedankensplitter




If someone has seen your soul, he will never be a stranger.

Donnerstag, 7. März 2019

Wenn verletzte innere Kinder sich verlieben


Foto: A.W.

Wenn wir das verletzte innere Kind in uns angenommen haben, haben wir die Verantwortung für seine Verletztheit und seine Verletzungen übernommen. Wir haben uns verpflichtet es zu beeltern. Das bedeutet auch: Wir schützen es künftig davor, das es sich wieder an einen Menschen bindet, von dem es erwartet, dass es einen oder gar beide Elternteile ersetzen soll. Der innere Erwachsene weiß nämlich allzu gut, dass es nicht gesund und zudem nicht möglich ist von einem anderen zu erwarten, dass er uns das gibt, was uns die Eltern nicht geben konnten. 

Eine gesunde Beziehung ist nur dann möglich, wenn beide Partner die Verantwortung für das verletzte innere Kind in sich übernommen haben. Beziehungen in denen die Partner diese Verantwortung für sich selbst nicht übernommen haben, zerstören sich mit der Zeit selbst.
Warum ist das so? Am Anfang geben uns Beziehungen in denen sich zwei verletzte Kinder begegnen das Gefühl von Seelenverwandtschaft. Da ist endlich einer, der unseren Schmerz spüren kann, weil er ihn selbst spürt, da ist einer, der unsere Ängste fühlen kann, weil er sie selbst fühlt, das ist einer, der unsere Trauer fühlt, weil er sie selbst fühlt. Da ist einer, bei dem es sich so vertraut anfühlt als seien wir endlich zu Hause angekommen. All das sind Gefühle unseres inneren Kindes, das sich danach sehnt einen von seiner Art zu finden um endlich heil zu werden. Es sieht in dem anderen etwas, das es selbst gut kennt und zugleich hat es die Hoffnung, dass Verstanden werden auch bedingungslose Liebe bedeutet, eine Liebe, die es nicht bekommen hat und sein Leben lang verzweifelt sucht. 

Das innere Kind fühlt sich angekommen. Mit diesem Gefühl des Angekommen seins glaubt das verletzte Kind, dass der andere sich jetzt endlich um seine tiefsten Bedürfnisse kümmern wird.  
Er wird zu der Mutter oder dem Vater, den es nie hatte. Es werden Ansprüche an den Partner gestellt hinter denen sich unbewusste Erwartungen verbergen, die mit jenen unerfüllten Sehnsüchten beladen sind unter denen beide verletzten Kinder leiden. Die innere Leere, der Schmerz, die Hoffnung gerettet zu werden, überfrachtet die Wirklichkeit und macht blind. Es heißt nicht umsonst Liebe macht blind. Sie macht blind, in dem Sinne, dass wir im anderen etwas sehen, was wir selbst nicht haben und so nötig brauchen. Das was er ist, sehen wir nicht. 

Übervoll mit dem Wunsch: Jetzt soll es endlich gut werden, retardieren wir. 
Wir fühlen kindlich.  
Dieses kindliche Gefühl sagt: Es soll vervollkommnet werden was unvollendet geblieben ist: Das Gefühl bedingungslos und um unserer selbst willen geliebt zu werden. Was das Kind in uns nicht weiß: Was wir als Kinder von den Eltern nicht bekommen haben, kann uns der andere nicht mehr geben. Er ist eben nicht die Mutter, er ist nicht der Vater. Er trägt wie wir selbst ein verletztes Kind in sich, das von uns erhofft, was wir uns von ihm erhoffen.

Beziehungen zwischen zwei Menschen, die ein verletztes Kind in sich tragen um das sie sich selbst nie gekümmert haben, scheitern in der Regel an einer dysfunktionalen Dynamik, die sich, ist der erste Liebesrausch vorbei, schleichend entwickelt und beiden nicht bewusst ist. 
Im Zustand des Verliebtseins und im weiteren Verlauf der Beziehung entwickelt sich eine Wiederholung der früheren Eltern-Kind-Beziehung. Beide übernehmen hier genau das Verhalten und die Rolle, die sie als Kind übernommen haben um emotional zu überleben. Nicht selten kommt es auch dazu, dass der eine den anderen oder beide sich gegenseitig so provozieren, dass sie beginnen sich wie der Vater oder die Mutter zu verhalten. Das, was der andere uns vermeintlich „antut“,  wird so verzerrt, dass er uns mehr und mehr an den jeweiligen Elternteil erinnert. Es kommt zu Kämpfen. Verzweiflung macht sich breit: Das kann doch nicht sein, dass es schon wieder nur weh tut. Er, sie, sollte mir doch gut tun. Und wieder und wieder holen sich beide neue Verletzungen ab, die die alten Wunden nach Oben bringen. 

Aber es wird nicht aufgehört, der Schmerz ist so vertraut, das fühlt sich so nach Heimat an. Dieses Mal, sagt sich das innere Kind, muss es gut werden und es kämpft weiter, wo es längst mit dem Kämpfen aufhören sollte. Die Wunde kann nicht heilen, wenn sie immer wieder neu aufgerissen wird. Und genau das geschieht durch die Dynamik einer solchen Beziehung. Sie wirft uns in die dunklen Erinnerungsräume der Kindheit. Diese Dynamik aber hat auch ihr Gutes: Sie zeigt uns, dass wir uns auf hartem Parkett bewegen. 

Ein hoch komplexer Tanz beginnt, in dem zwei innere Kinder eine destruktive Choreografie entwickeln und an dessen Ende beide Tänzer ermüdet und enttäuscht voneinander am Boden liegen. 
Der alte Schmerz ist nicht geheilt, er ist wieder ganz groß da. Die alte Wunde ist aufgerissen. Die Hoffnung nach dieser einen Liebe hat sich in das Gefühl von Vergeblichkeit gewandelt. Wir fühlen uns wieder verlassen und ungeliebt.

Ist eine Beziehung an diesem Punkt angekommen, kommt es in den meisten Fällen zur Trennung. In Wahrheit aber gab es diese Trennung von Anfang an. Was sich begegnete waren zwei getrennte Individuen, die ihre Individualität nicht verstanden und nicht geachtet haben, sondern den anderen für sich und das Füllen ihres inneren Mangels brauchten. Anstatt ihn als das wahrzunehmen was er ist: Ein selbstständiges eigenes, hoch komplexes, wunderbares Individuum, wollten sie sich ihn einverleiben um die Wunde es Ungeliebtseins nicht mehr spüren zu müssen.

Unendlich viel Herzeleid ist darauf zurückzuführen, dass wir Menschen kein ausreichendes Maß an Verantwortung für das verletzte Kind in uns zu übernehmen bereit sind.
Eine Partnerschaft sollte eine Begegnung zwischen zwei Menschen sein, die beiden hilft, sich klarer als bisher zu erkennen und zu verstehen. Wenn wir uns selbst helfen wollen, müssen wir dem inneren Kind erlauben mit all seinen Bedürfnissen und Gefühlen da zu sein. Wir müssen ihm die Chance geben, es kennen zu lernen und wir müssen, ja, ich sage „müssen", es lieben lernen, auch wenn es uns so viele Probleme bereitet und wir es manchmal am liebsten in die Wüste schicken möchten. 
Erst wenn wir uns um dieses Kind in uns gekümmert haben und jeden Tag neu kümmern, werden wir Beziehungen eingehen können, in denen es nicht um Bedürftigkeit und Kampf geht, sondern um eine Liebe, die nichts einfordert, was sie selbst nicht besitzt.





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Dienstag, 5. März 2019

Alles, alles geht vorrüber ...






Foto: A.W.
 

Manchmal sind wir untröstbar. Wir stehen vor einem Verlust, der uns den Boden unter den Füßen wegreißt, wir haben verloren, was wir geliebt haben, was uns Halt gab und glücklich machte und alles andere schenkte, was wir so sehr brauchen. 

Wir wehren uns dagegen, das es ist wie es ist. 
Wir leiden und unser Alltag ist beherrscht von einem großen Kummer, der jede Bewegung, jedes Tun so schwer macht, dass wir glauben, wir schaffen es nicht mehr. Wir möchten uns verkriechen und weinen oder wir möchten schlafen und erst dann wieder aufwachen, wenn es nicht mehr weh tut. Wir versinken in eine tiefe verzweifelte Trauer. 
Aber wir wissen, wir müssen weiter machen, mit dem Schmerz und wir wissen nicht wie.

Mir hilft in diesen Momenten ein Satz aus der Vipassana Meditation: 
„Alles, alles geht vorrüber ...“
Diesen Satz sage ich mir, wenn es weh tut im Herzen. 
Ich schließe die Augen, atme tief ein und aus und wiederhole ihn. 
Ich wiederhole ihn innerlich solange bis ich spüre, dass es ruhiger in mir wird.
Und irgendwann fühlt es sich nicht mehr so schlimm an was da ist.

Alles, alles geht vorrüber. 
Auch der Schmerz.
Er wird weniger werden.
Und ja, vielleicht geht er nie ganz weg.
Aber er wird sich wandeln.
Aus der Verzweiflung wird ein stilles Bedauern, eine leise Trauer, ein tiefes Akzeptieren ... 
mit dem Vorrübergehen der Zeit.
Die Zeit wird uns Neues bringen ... 
und auch das geht vorrüber. 




Montag, 4. März 2019

AMBIVALENZ

Foto: A.W.

Manchmal sind beide Gefühle wahr, sowohl Abneigung, als auch Zuneigung. Wenn ich sage, ich mag dich, aber ..., ist das: "Ich mag dich", ausgelöscht durch das was folgt. Dieses Aufspalten ist oft der erste Schritt zur Entfremdung vom Gegenüber und zugleich der Verleugnung eines Teiles in mir, der auch anders fühlt.
Wenn ich im selben Satz das "aber" durch ein "und" ersetze, bleiben beide Gefühle verbunden.
Mit dem Wort "und" halte ich die Gefühle zusammen, die Empfindung wird nicht abgespalten, die Entfremdung verhütet. Mit dem Wort "und" halte ich die Wahrnehmung im Gleichgewicht. Beide Gefühle sind wahr und dürfen sein. Es ist okay.

Samstag, 2. März 2019

WIEDERHOLUNG



Foto: A. W.

Manchmal müssen wir erleben, dass sich bestimmte Dinge wiederholen. Dann sehen wir uns vor Situationen gestellt, die wir schon einmal in ähnlicher Weise erlebt haben oder wir machen Erfahrungen mit einem Menschen, die wir in ähnlicher Weise mit einem anderen Menschen gemacht haben. Und vielleicht ist es dieses Mal noch schlimmer als es zuvor war.

Dann sind wir traurig, wütend, verzweifelt oder niedergeschlagen. Wir machen uns vielleicht Vorwürfe, weil wir denken, das kann doch nicht sein, wieder dasselbe, wieder muss ich mit denselben Problemen kämpfen. Das ist wie ein deja vu, das kenne ich doch schon, das habe ich doch schon mal erleben müssen. Ich dachte, das habe ich hinter mir. Wie kann mir das schon wieder passieren? 

Ja, das haben wir schon mal erleben müssen. Aber wir haben es nicht überwunden. Wir haben diese Erfahrung nicht gelöst, damals. Wir haben nichts daraus gelernt. Darum wiederholt sie sich. Wir haben wieder die Chance zu lernen und es dieses Mal zu lösen.