Montag, 23. Mai 2016

Aus der Praxis – Der Schatten der Eltern



mein herz? dein herz? (c) aw


Zum Individum werden bedeutet, sich durch die Prozesse der Selbsterkenntnis auszudifferenzieren, mit dem Ziel das Eigene, die eigene Einzigartigkeit, zu finden und sie anzunehmen, was immer sie auch sein mag. Das Annehmen meiner selbst in meiner Besonderheit ist ein wichtiger Schritt um mich aus der Schleife von Selbstanklage, Selbstbeurteilung und Selbstverurteilung heraus zu bewegen. Und immer wieder, ich kann es nicht oft genug betonen, spielt das Erkennen der Schatten bei diesem Prozess eine entscheidende Rolle. Solange das Verdrängte, eben das, was ich nicht sehen will in mir selbst und meiner Biografie, nicht angeschaut und aufgelöst ist, werde ich mir meiner selbst nicht bewusst. Ich reife nicht, wenn ich mich vor den Schatten verstecke, aus Angst sie könnten mein Leben im Jetzt überschatten.

Zu den Schatten gehört auch der Elternschatten, den wir so gerne unantastbar lassen.
Gerade hier neigen wir dazu uns selbst zu blenden um uns die Illusionen nicht zu nehmen, wie sie in unserem Wunschdenken waren, auch wenn wir in der hintersten Ecke unseres Bewusstseins wissen, dass unser Bild der Eltern eben nur ein Bild von ihnen ist, ein Wunschbild bisweilen, das sich auflöst sobald wir nur im Geringsten daran kratzen.
Aber was nützt uns ein Wunschbild, das der Realität unserer Erfahrung nicht entspricht?

Das Werden zu dem, der ich bin, bedeutet auch -  mir klar darüber zu werden, wessen Kind ich bin.
Es bedeutet - mir Klarheit darüber zu verschaffen, was meine Kindheit geprägt und was sie überschattet hat. Der Elternschatten ist solange ein mich unbewusst beeinflussender Teil, solange ich mich davor fürchte ihn ins Licht meiner Aufmerksamkeit zu holen. 
Und wenn ich spüre, dass ich eine Illusion anschaue, dann ist es eine Illusion.
Sich die Eltern gut denken wollen, macht sie und mich nicht besser.
Das gute Denken ist vielleicht ungefährlicher, weil es mich nicht mit Gefühlen von Scham und Schuld konfrontiert, aber das ist Verdrängung, die nur den Sinn hat, mich selbst zu schützen und nicht die Eltern, wie man fälschlicherweise denken könnte. Denn wenn ich mich wage auch das Ungute, das Destruktive, das nicht Liebevolle der Eltern zu sehen, dann fühle ich Schuld, dann fühle ich Scham, weil ich sie als gutes Kind lieben und ehren soll.

Aber wie lieben, was ich nicht verstehe, nicht (er) kenne?
Den Schatten der Eltern sehen heißt nicht, ich verurteile, es heißt - ich differenziere, ich erwache. Ich erwache aus der infantilen Illusion des "alles ist gut, wenn ich auschließlich das Gute sehen will". Indem ich erwache, werde ich wach für mich selbst und den Teil in mir, der mich geprägt, beeinflusst und geformt hat. Ich erkenne die Wut, die nicht die meine ist, ich erkenne die Trauer, die nicht die meine ist, ich erkenne die Angst, die nicht die meine ist, ich erkenne die Scham, die nicht die meine ist, ich sehe die Schuld, die nicht die meine ist, die erkenne die Verzweiflung, die nicht die meine ist, ich erkenne die Unsicherheit, die nicht die meine ist und ich sehe den inneren Kampf, der nicht der meine ist und doch zu dem meinen geworden, solange ich mich nicht gereinigt habe, von dem, was nicht das meine ist.

Eltern formen ihre Kinder. Und die Wirkung ihrer Schatten wirkt auf ihre Kinder.
Je massiver der Elternschatten, desto stärker die Gefahr, dass sich im Kind ein falsches Selbst bildet, denn als Kind entscheiden wir nicht, was wir in uns aufnehmen. Wir können nicht anders, wir saugen auf - alles, das Hell und das Dunkel derer, die uns nähren und erziehen. Es braucht mitunter ein Leben lang um herauszufinden was bin ich und was ist der Schatten der Eltern, der mich beeinflusst in meinem Fühlen, meinem Denken und in meinen Handlungen?

Um der zu werden, der ich bin muss ich hinschauen, muss ich es wagen zu demontieren, was ich für unanstastbar halte, um unter all den Fragmenten, die diese Demontierung nach sich zieht, die Teile zu erkennen, die nicht die meinen sind um mehr ich selbst zu werden. Differenzieren ist nötig. Das bedeutet Abgrenzung und Loslösung mit dem Ziel zu mehr Selbstbestimmung zu gelangen, mehr zur eigenen Mitte hin zu balancieren und um ein Mehr an Selbstbewusstsein und Autonomie zu erreichen. Das Werden zu dem, der ich bin, bedeutet nicht, ein Mensch zu sein, der keine Probleme mehr hat, es bdeutet ein Mensch zu sein, der sich mehr und mehr den Teilen seiner Persönlichkeit bewusst wird. Und dazu gehört der Elternschatten, den wir introjiziert haben, ohne eine Wahl gehabt zu haben, dazu gehört ihn zu identifizieren um ihn dahin zurückzugeben, wo er hingehört: zu Mutter und Vater.

4 Kommentare:

  1. Danke für diese hilf-reichen Worte, liebe Frau Wende!
    Herzliche Grüße
    Chris ;-)

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  2. gerne, liebe chris ;-)

    herzlich,
    angelika wende

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  3. Vielen Dank für die sehr gute Erklärung der Eltern Schattenanteile. Ist für mich persönlich sehr hilfreich und denke auch, für ein paar Bekannte aus meiner SHG.

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